Sultano / Werkner rücken hier Einiges zurecht. Kokoschka hatte – das belegt sein 1931 gemaltes Bild „Wien, vom Wilhelminenberg gesehen“, welches das Kinderhilfswerk des „Roten Wien“ positiv wertete -, Sympathien für den Austromarxismus. Die Niederlage vom 12. Februar 1934 war, neben dem Tod der Mutter, Grund für seine faktische Emigration nach Prag – seinem Gefühl nach war er seit 1909 Emigrant. Mit seinem Plakat „Helft den baskischen Kindern!“ unterstützte er von Prag aus die spanischen Republikaner und im englischen Exil finden wir ihn – übrigens gemeinsam mit John Heartfield – im „Freien deutschen Kulturbund“ als keineswegs unpolitischen Exilanten.
Doch in der Entwicklung Kokoschkas hat der Zeitraum von 1937 bis 1950 noch eine eigene Bedeutung und markiert einen tiefgreifenden Wandel. 1950 zählt Kokoschka zu den Etablierten: er malt ein Bild des Wiener Bürgermeisters Körner (das eigenartigerweise von der Gemeinde Wien nicht angekauft wurde und in Linz Asyl fand), kooperiert mit Personen wie Friedrich Welz und Wolfgang Gurlitt, lässt sich im „rot-weiß-rotem-Kulturkampf“ zum Anti-Picasso stilisieren und wird im Münchner „Haus der Kunst“ durch eine große Werkausstellung geehrt. 1937 war das noch anders. In diesem Jahr fanden in gewissem Sinne zwei Kokoschka-Ausstellungen statt und ihre Geschichte bildet wohl den interessantesten Teil der Arbeit von Sultano / Werkner: da war einmal die von Carl Moll organisierte und von Ferdinand Bloch-Bauer geförderte Ausstellung im „Österreichischen Museum für Kunst und Industrie“. Wie diese zwar verlängerte, aber schwach besuchte Ausstellung wirklich zu sehen ist, als letzte Manifestation einer kulturellen Liberalität, als Privatunternehmen einiger einflussreicher Enthusiasten, oder als österreichische Absetzbewegung von der deutschen Kulturpolitik, ist strittig. Kokoschka, der mit dem Ständestaat nichts zu tun haben wollte, stand ihr eher abstinent gegenüber. Wie ambivalent die Situation war, zeigt sich daran, dass die Secession, eigentlich ein entsprechender Ausstellungsort, – so Gloria Sultano -„ihr möglichstes (versuchte), um keinesfalls Lokalität der Ausstellung zu werden“ und ihr Publikum statt dessen mit einer Ausstellung zur deutschen Baukunst beglückte, die von einem im Rang höheren Beamten eröffnet wurde, als die Kokoschka-Schau.
Für Kokoschkas Leben bedeutender war wohl die zweite Ausstellung: die Münchner Schau zur „Entarteten Kunst“, die – in München noch bei freiem Eintritt – in den ersten vier Monaten zwei Millionen Besucher hatte und 1939 auch in Wien gezeigt wurde und hier 147.000 Besucher anzog. Ein solcher in der Schau gezeigter „Entarteter“ war auch Kokoschka, von dem bis 1938 417 Arbeiten beschlagnahmt wurden und auch zumindest ein Werk zerstört wurde. Eine der Folgen der Stigmatisierung Kokoschkas als „Entartete“ war, dass die deutschen Leihgeber der Wiener Ausstellung anonym blieben, eine andere, dass Kokoschka verzweifelt versuchte, seine Bilder vor der Rückkehr nach Deutschland zu schützen. Zerstört wurde in der Folge wohl nur einiges, doch vieles wurde verschleudert. Die konkreten Preisangaben sind widersprüchlich, doch fest steht: die „Windsbraut“ hat ihren Besitzer weit unter ihrem Wert gewechselt.
Das sind nur einige Beispiele der von Sultano / Werkner ausgegrabenen Geschichten rund um Leben und Werk Oskar Kokoschkas. Viele haben diesen Maler für „ausgeforscht“ gehalten – dieser exzellent kommentierte und mit einer Unzahl von Dokumenten untermauerte Band belegt das Gegenteil.