#Sachbuch

Suchers Leidenschaften

C. Bernd Sucher

// Rezension von Daniela Strigl (Hrsg.)

Leidenschaft ist gewiß keine üble Begleiterin für eine pädagogisch motivierte Lektüre: Wer leidenschaftlich liest und sich zu seinen Sym- wie Antipathien (samt dem ihnen buchstäblich innewohnenden Leiden) bekennt, der vermag auch andere anzustecken. Vielleicht ist bei C. Bernd Sucher ein bißchen zu oft von der Leidenschaft für dieses oder jenes Werk die Rede, offenbar um stets aufs neue den Titel zu rechtfertigen, den der Autor selbst für „eitel“ hält. Die insistierenden Referenzen mögen damit zu tun haben, daß die Hälfte der hier versammelten Portraits auf eine Vortragsreihe zurückgeht. Großspuriger als der Titel Suchers Leidenschaften mutet der Untertitel an: „Was bleibt von der Literatur des 20. Jahrhunderts?“ Wirklich nur dieses Dutzend, das Herr Sucher für uns ausgesucht hat?

Das glaubt er aber erstens selbst nicht und zweitens geht er mit einigen der Auserwählten ausgesprochen streng ins Gericht: wiewohl wenig Mut dazu gehört, Brechts Lehrstücken die zeitlose Bedeutsamkeit abzuerkennen, ihnen das frühe vitalistische Kraftmeier-Drama Baal vorzuziehen und die geniale Lyrik über alles zu stellen. Von Heiner Müller wiederum wird nach Suchers Ansicht kaum etwas bleiben: zwei Stücke, das eine oder andere Gedicht – und die eleganten Spiegelfechtereien der Interviews. Mag sein, daß hier Müllers unterkühlte Autobiographie Krieg ohne Schlacht unter ihrem Wert geschlagen wird. Sucher macht aber nicht den Fehler, die zynische Attitüde des DDR-Stardramatikers reflexhaft moralisch zu benoten, er porträtiert ihn plausibel als Maskenspieler, der oft auch literarisch Tiefsinn vorgaukelte, wo nichts dahinter war. Ähnlich differenziert versucht C. Bernd Sucher, das Bild der Christa Wolf zurechtzurücken. Sie veröffentlichte 1990 eine elf Jahre alte Erzählung mit dem – auch in unserem Zusammenhang – programmatisch klingenden Titel Was bleibt, einen Bericht über das Dasein im Visier der Stasi, worauf alle jene Kritiker über sie herfielen, die sie vor der Wende für Bücher wie Nachdenken über Christa T. und Kassandra bis in Nobelpreis-Höhen gehoben hatten. Im nachhinein war man im Westen enttäuscht von Christa Wolfs mangelhafter Widerstandsleistung. Für Sucher ist die Dichterin eine „ungeschickte Aufrichtige“, „kein Chamäleon, sondern eine Frau mit vielen Leben“, zuletzt eine, „die zur Demontage freigegeben ist.“

Weniger ritterlich verfährt er mit Elfriede Jelinek, die er offenbar für minder schutzbedürftig hält. Sucher unterscheidet scharf zwischen solchen Werken, die, sprachlich ausufernd und entgleisend, Provokation leisten sollen und Langeweile erzeugen, und solchen, die die demaskierende Montagekunst komprimiert auf die Spitze treiben. Daß der Theaterkritiker der Süddeutschen Zeitung zur ersten Kategorie nicht nur die Stücke Raststätte und Krankheit oder Moderne Frauen rechnet, sondern auch Die Klavierspielerin und Lust, überrrascht denn doch. Suchers lobenswerte Methode, seine Analyse durch ausführliche Zitate zu belegen, erlaubt es, das Verdikt am konkreten Beispiel zu überprüfen und ihm zu widersprechen. (Quellenangaben finden sich hinten, zitierte Stimmen anderer Interpreten werden jedoch nicht nachgewiesen.) Jelineks bewußt brachiale Bildlichkeit wird hier als Ausfluß mangelnden Sprachgefühls mißverstanden. Dem Kritiker, der den inkriminierten Texten auch ihre obszöne Deutlichkeit in sexualibus ankreidet, sind hier wohl ästhetische und und ethische Maßstäbe durcheinandergeraten. Einwandfrei begeistert zeigt er sich hingegen von der mörderischen Oberwart-Farce Stecken, Stab und Stangl, vom düster-großartigen Deutschlandbild Wolken.Heim, vom Sportstück und von der frühen „Posse“ Burgtheater, die bisher kein noch so mutiger Burgtheaterdirektor aufzuführen gewagt hat. (Jelinek wurde übrigens hierzulande nicht nur an der Burg gespielt, das Wiener Volkstheater war sogar früher dran.) Daß diese Autorin keine herkömmlich „dramatischen“ Texte schreibt, sieht Sucher als ihre Stärke: „Sie will ein anderes Theater.“

Spätestens bei dem Thomas Bernhard gewidmeten Beitrag fällt einem jenes köstliche Dramolett ein, in dem Antonio Fian den Verleger Unseld nach der Überlebenschance der einzelnen Bernhard-Werke fragen und den Kritiker Reich-Ranicki stets mit einem kategorischen „Wird bleiben“ antworten läßt. Sucher bewegt sich mit seiner nun wirklich leidenschaftlichen Hommage ganz auf dieser Linie: Für ihn hat Bernhard „nur ein Werk hinterlassen“, ebenso radikale wie witzige Variationen über die Aussichtslosigkeit der Existenz. Sogar gegen den Vorwurf der Frauenfeindlichkeit versucht Sucher Bernhard – wenig überzeugend – zu verteidigen: als müßte „ein Narr, ein Philosoph, ein Seher“ auch noch politisch korrekt sein. C. Bernd Sucher ist in seinem Buch sicher mehr als das. Sowohl sein subtiler Essay über die stets falsch zitierte und in Wahrheit weithin unbekannte Gertrude Stein, als auch die Beiträge über Else Lasker-Schüler und Nelly Sachs sind alles andere als paritätische Pflichtübungen. Daß Sucher nicht Celan ausgewählt hat, sondern Sachs, daß er vor der Folie ihrer Gedichte von der Freundschaft der beiden spricht, ist eine schöne und originelle Idee.

Des Autors persönliches Faible verrät sich freilich in den Portraits von Alfred Kerr und Jean Cocteau: „Kluge Köpfe, die nicht miesepetrig und griesgrämig sich in Bibliotheken verstecken, sondern Leben und Luxus lieben, gefallen mir.“ Dies merkt man nicht zuletzt an dem Vergnügen, mit dem Sucher sich den biographischen Details widmet. Für einen, der ein Werk namens Hummer, Handkuß, Höflichkeit. Das Handbuch des guten Benehmens verfaßt hat, muß der grenzenlos von sich überzeugte Alfred Kerr nicht nur als Kritiker ein Vorbild sein. So wird Kerr, der meinte, in Deutschland keinen Frack zu haben, sei das „Sprungbrett zur Tiefe“, gegen die Kollegen ausgespielt, die heute die Salzburger Festspiele im alten Tweedsakko beehren.
Ob man diesen Bonvivant-Gestus nun schätzt oder nicht: Suchers bis auf kleine Ausrutscher klares, prägnantes Deutsch kommt der Propagierung seiner Leidenschaften zugute. Dem Verlag, der im Klappentext von einer „leichtfüßigen Einführung“ in die moderne Literatur und einem „brillanten Gang“ durch ihre Klassiker schwärmt, sei bloß empfohlen, die Attribute tunlichst zu vertauschen.

C. Bernd Sucher Suchers Leidenschaften
Was bleibt von der Literatur des 20. Jahrhunderts?
München: Claassen, 2001.
410 S., geb.
ISBN 3-546-00242-3.

Rezension vom 25.02.2002

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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