Die vorliegende Gesamtdarstellung der deutschen Literaturgeschichte, herausgegeben von Bengt Algot Sorensen, erschien erstmals 1997, wurde nun aktualisiert und ist als Werk irgendwo angesiedelt zwischen Daten deutscher Dichtung von Frenzel und dem dtv-Atlas zur Literatur, sprich: soll als kompakte Einführung in die Materie und zugleich als Nachschlagewerk dienen. Zunächst das Positive: Den Autoren ist es gelungen, auf nicht ganz 500 Seiten immerhin zweihundert Jahre deutsche Literatur – von Heine bis Goetz – zu packen, und dabei nicht darauf vergessen, auch für interessierte „Laien“, und nicht nur für Germanisten, zu schreiben. Die Einteilung verwirrt auf den ersten Blick ein wenig, denn während etwa die Kapitel bis 1945 jeweils brav in „Grundzüge der Epoche“, „Gattungen“ und „Autoren“ eingeteilt wurden, gliedert sich die nachfolgende Zeit in etliche Kapitel und Unterkapitel, die nach zum Teil anderen Kriterien gebildet wurden. Doch vielleicht spiegelt sich darin wieder einmal die Schwierigkeit der Literaturwissenschaft, Abgrenzungen nach Epochen, Regionen, Themen oder Gattungen vorzunehmen (gehört Elias Canetti, dessen Hauptwerk „Masse und Macht“ 1960 erschien, wirklich zur Literatur der 30Jahre?). Kurzum: Wahrscheinlich wird man diesem Problem in jeder Gesamtdarstellung begegnen.
Weniger Verständnis könnte man hingegen für die Auswahl und Gewichtung mancher Schriftsteller aufbringen. Die Autoren des Buches liegen nämlich klar auf der Linie derjenigen, die in der deutschen Literatur vornehmlich eine Literatur aus Deutschland, und nicht eine des deutschsprachigen Raums sehen. Wie sonst könnte man erklären, daß der nicht ganz unbedeutende Österreicher Albert Ehrenstein etwa einmal Erwähnung findet, während der Lyriker Johannes R. Becher ganze 16 mal vorkommt? Daß ein für die österreichische Nachkriegsliteratur so wichtiger Autor wie Gernot Wolfgruber nicht genannt wird, spricht auch nicht für eine „Gesamtdarstellung“. Und daß man Raoul Hausmann als deutschen Dadaisten bezeichnet (S.184), darüber könnte man ebenfalls streiten. Daß Hausmann vergeblich versuchte, die österreichische Staatsbürgerschaft, die ihm 1945 aberkannt worden war, zu erlangen und dabei an der heimischen Bürokratie scheiterte, soll hier gleich Erwähnung finden – um dem Verdacht zu begegnen, hier werde dumpf-nationalistische Literaturvereinnahmung betrieben.
Die Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen: Warum findet man Walter Serner in dem Buch nicht? Wieso nennt man Christian Kracht und Florian Ilies als deutsche Popliteraten, wenn man gleichzeitig Stuckrad-Barre, den Parade-Popper, nicht erwähnt? Und last but not least: Wieso widmet man Peter Handke ganze vier Seiten, während kein einziges (!) Prosawerk von Thomas Bernhard genannt wird (immerhin erfährt man, daß der Autor vom Theater „verhätschelt“ (S.407) wurde, was auch immer man darunter verstehen kann). Handkes „In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus“ wichtiger als „Frost“, „Alte Meister“ oder die Autobiographie von Bernhard? Man wird hier einfach den Eindruck nicht los, daß die Kriterien der Auswahl je nach Laune mal so, mal so interpretiert wurden. Für ein derart ambitioniertes Projekt wie eine Literaturgeschichte eigentlich schade.