#Sachbuch

"Schüsse ins Finstere"

Gerald Sommer, Kai Luehrs-Kaiser (Hg.)

// Rezension von Peter Stuiber

„Die Strudlhofstiege“, „Die Dämonen“, „Ein Mord, den jeder begeht“ – Heimito von Doderer ist einer breiten Leserschicht vor allem durch seine exakt komponierten, umfangreichen Romane bekannt. Auch die germanistische Forschung hat sich bislang hauptsächlich diesen gewidmet, nicht zuletzt, weil sich der Autor selbst in seinen literaturtheoretischen Schriften der großen Form annimmt.

 

Grund genug für die Heimito von Doderer-Gesellschaft, ein Symposion zu veranstalten, das sich mit Doderers weniger bekannter Kurzprosa beschäftigt. Im Band 2 der Schriftenreihe der Gesellschaft werden nun die Ergebnisse dieses Treffens, das im November 1999 stattgefunden hat, vorgelegt. Ergänzt werden die wissenschaftlichen Beiträge von Briefen und Texten Doderers, die sich theoretisch mit der „kleinen literarischen Form“ auseinandersetzen, sowie einer Übersicht zu fünf Jahren Heimito von Doderer-Literaturpreis.

Zunächst zu den Äußerungen des Autors selbst. In einem Brief an Madgalena Brückner definiert Doderer genau seine Vorstellung von einer Kurzerzählung: Inhalt und Form müßten eine Einheit bilden („der episodäre Einfall muss schon als Kurzgeschichte erfolgen“, S.15); die Kurzgeschichte müsse erzählend sein und gleiche weder der Anekdote noch dem Witz. In einem kurzen Aufsatz über den Erzähler Herbert Eisenreich unterscheidet Doderer außerdem zwischen dem „echten“ Erzähler, der selbst den außergewöhnlichsten Einfall mit der Gesamtheit des Lebens verbinde („in den Blutbahnen des eigenen Lebens wieder aufgelöst“, S. 50) und dem Dilettanten, der sich „um den Einfall krampft“ (ebd.), ihn isoliert. Gerade diese präzisen Äußerungen Doderers (die an dieser Stelle nur verkürzt wiedergegeben werden können) zeigen, daß der Autor die Kurzprosa als Gattung durchaus ernst genommen hat, von ihr ebenso künstlerische Beherrschung gefordert hat wie bei den Romanen.

Daß Doderer die Kurzformen als Ausweichmöglichkeiten für Einfälle, die er nicht in seinen Hauptwerken unterbringen konnte, sah, legen einige der Beiträge der Bandes nahe. Besonders spannend ist der Vergleich Doderers mit der Wiener Avantgarde in dem Aufsatz von Wendelin Schidt-Dengler. Der Autor habe mit seinen Ausflügen in die Kurzprosa deutliches Interesse an den Formen gezeigt, die die jungen „Wilden“ seiner Zeit mit Erfolg erprobt hätten. „In diesen ‚Kürzestgeschichten‘ hat, ähnlich wie in den Merowingern, Doderer seine Tangenten an die Moderne gelegt, an eine Literatur, die seinen Gestaltungsprinzipien von Anfang an fremd war, die aber doch zu einer Exkursion verlockte.“ (S.60)

Interessant auch Henner Löfflers Analyse zu den späteren Erzählungen Doderers. So sieht der Doderer-Experte, der jüngst sein bemerkenswertes „Doderer-ABC“ vorgelegt hat, in der Erzählung „Trethofen“ eine Abrechnung des Autors mit der eigenen fragwürdigen Vergangenheit zur Zeit des Nationalsozialismus (wie dies Schmidt-Dengler schon für den „Grenzwald“ erkannt hat). Auch die anderen, in dem Band versammelten Aufsätze sind durchwegs aufschlußreich und auch für Nicht-Wissenschaftler genießbar (mit Ausnahme Ralph Krays Aufsatz über „Konturen epistemologischer Lesbarkeit und die Heterologien des Ich“). Wer sich einen bislang wenig beachteten, dennoch beachtlichen Teil des Doderer’schen Werkes erschließen will, dem sei der vorliegende Sammelband als Führer in die mitreißende Gedankenwelt des Autors ans Herz gelegt.

Gerald Sommer, Kai Luehrs-Kaiser (Hg.) „Schüsse ins Finstere“
Zu Heimito von Doderers Kurzprosa.
Würzburg: Königshausen & Neumann, 2001.
296 S.; brosch.
ISBN 3-8260-2076-6.

Rezension vom 05.02.2002

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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