#Sachbuch

manchmal alles manchmal nichts

Norbert Silberbauer

// Rezension von Evelyne Polt-Heinzl, Christine Schmidjell

„Das war eine deiner vielen Sprachspezialitäten: aufzudecken, wo die Sprache den Kurs verlor, weil die Depperei das Kommando übernimmt“ (S. 199), schreibt Sylvia Treudl in ihrem Epitaph, der den von ihr initiierten und betreuten Band zum Gedenken an Norbert Silberbauer beschließt. Trotzdem, so kann man sich gut vorstellen, würde er großmütig lachen, dass in der vorangestellten „Editorischen Anmerkung“ der Beitrag von Helga Laugsch als „fast kühle Analyse zur Text-Rezeption von Silberbauers Prosa“ (S. 13) angekündigt wird, obwohl er sich nicht mit der Rezeption seines Werks beschäftigt, sondern eine Interpretation dazu liefert. „Drei Prosa-Monographien“ habe er hinterlassen, „neben Gedichtbänden, Theaterstücken und Gemeinschaftswerken“ (S. 18), heißt es da, doch eine Monographie zu seinem Werk ist noch nicht geschrieben, gemeint sind damit einfach Erzählbände. Das Gedenken im kurzen Abstand zu Norbert Silberbauers tragischem Selbstmord am 7. Juni 2008 ist hörbar für alle BeiträgerInnen eine schwierige Aufgabe, und es ist in jedem Fall ein Verdienst Sylvia Treudls und der Literaturedition Niederösterreich, dass dieser Band nun vorliegt.

Der vielleicht wärmste Text des Bandes ist von Margit Hahn, in dem sie mit viel Gespür Zitate von Silberbauer einmontiert, wie das auch Beatrix Kramlovsky tut. Traurig macht das Buch dort, wo sich die BeiträgerInnen auf die Schilderungen ihrer persönlichen Begegnungen und Erlebnisse konzentrieren und dabei mehr ein Porträt der/des Gedenkenden als des Verlorenen entsteht. Mitunter scheinen die Erinnerungstexte sogar zu zeigen, woran ein Leben auch scheitern kann, zum Beispiel an der mangelnden Bereitschaft, das wörtlich und salopp und mit einem ewigen Understatement Hingesagte zu hinterfragen, noch in der Erinnerung wird es nur referiert und nicht bedacht (S. 136-139). Es mag Geschmackssache sein, aber Formulierungen eines Literaturveranstalters, er durfte Norbert Silberbauer einmal als „beinahe glücklichen Vertreter der schreibenden Zunft“ erleben, der, „sich ausreichend und gut betreut fühlend, zum schnurrenden Kater mutierte“ (S. 58), wenn der Veranstaltungsort „aus allen Nähten platzte“ (S. 59), wecken doch, im Angedenken an den Geehrten, ein leises Unbehagen.

Sehr viel reflektierter und poetisch behutsam ist vor allem der Beitrag von Alfred Komarek über „Die Brücken aus Glas“, die eine Verständigung oder eine Nähe zwischen Künstlern im Betrieb so schwer möglich machen. Und informativ ist nicht nur das abgedruckte Interview von Andreas Weber, sondern auch der Beitrag von Martina Schmidt, als Mitarbeiterin im Deuticke Verlag einstmals zuständig für den jungen Schriftsteller Silberbauer. Bis der Verlag sich im Zuge zweier Eigentümerwechsel unelegant von ungeliebten, weil als wenig marktgängig eingeschätzten AutorInnen trennte, zu denen auch Norbert Silberbauer zählte. Dass er seinen ersten Buchmessenauftritt in Frankfurt 1994 seinem ansprechenden Äußeren verdankt, das, wie Martina Schmidt erzählt, die weiblichen Mitarbeiter des damaligen Deuticke Verlages spontan überzeugte, ist die eine Seite des Betriebs. Dass auf der Messe dann Radek Knapp den ZDF-Aspekte-Preis erhielt und die Medienmaschinerie den Rest der Deuticke Autoren ins Abseits stellte, ist die andere. „Nur den Knapp filmen, die andern sind völlig uninteressant“, sprach der ZDF-Redakteur direkt neben Stefanie Holzer, Walter Klier und Norbert Silberbauer; die neue Verlagsleitung hat das dann exekutiert und sich von allen dreien getrennt.

Und bedauerlich ist schließlich auch, dass der einzige Versuch des Bandes, sich mit seinem Werk auseinanderzusetzen offenbar nur vom Ende her geschrieben und gedacht werden konnte. Helga Laugsch beschreibt die Prosa Silberbauers als verfangen in den „katholischen Koordinaten“ (S. 19), seine Figuren seien statisch, „in einer Art Klaustrophobie und Choreographie der Vergeblichkeit“ (S. 20), wie immer man sich die vorzustellen hat. „Ich frage mich, wie schwer es Silberbauer gefallen ist, seine Figuren in immer gleiche Szenarien von Ausweglosigkeit zu stecken, mit einem großen und korrekten Sprachgefühl ihre Außenwelt und Verfassung zu schreiben, ihre Gefangenheit als absurde menschliche Komödie.“ (S. 23) Doch die „katholischen Koordinaten“ sind einfach ein Strukturprinzip, freilich eines, das direkt aus der Realität der heimischen Provinz entstammt, in der Silberbauer lebte. Organisierten im ersten Roman „Franz“ (1994) die 14 Kreuzwegstationen den Lebensweg des Titelhelden,der sich der Zeitstimmung entsprechend bemüht, seinem Lebenslauf die Form einer „Karriere“ zu verpassen, bildeten in den beiden Folgebänden die zehn Gebote (2002) bzw. die sieben Todsünden (2007) das Erzählgerüst. In einem Interview sagte Silberbauer sinngemäß, er wolle die Frage stellen, wie es mit dem Wissen um und dem Befolgen von gängigen Moralregeln in unserer Gesellschaft denn aussehe. Das ist kein von vornherein depressionsverdächtiges Unterfangen, es ist der Versuch, sich unter einem in Österreich nach wie vor zentralen Aspekt mit der mentalen Befindlichkeit der Menschen in radikal sich wandelnden Zeiten zu beschäftigen, und Silberbauer tut das keineswegs moralinsauer, sondern mit viel Witz und Humor.

Was alle seine Texte eint, ist die sorgfältige psychologische Motivierung der Figuren und Konflikte und es ist keineswegs so, dass seine Figuren „zu klein und unbedeutend“ (S. 22) seien und ihre Ausbruchsversuche deshalb hilflos bleiben und misslingen. Vielmehr wehren und rächen sie sich mitunter recht effizient, Mord und Totschlag inklusive. In der Paraphrase über das siebte Gebot „Du sollst nicht stehlen“ aber verarbeitet Silberbauer seine Buchmessenerlebnisse und formt daraus eine wunderbare Satire auf den Literaturbetrieb: der Jungautor, der mit dem Diebstahl einer Preisurkunde eines glücklicheren Kollegen – zumindest im Albtraum – über Nacht zum medialen Superstar avanciert.

Das ist Norbert Silberbauer zu seinen Lebzeiten nie geglückt, und das ist wohl auch mit die Schuld des Literaturbetriebs, dazu zählen seine unglücklichen Verlagsbeziehungen genauso wie das mangelnde Interesse von Seiten der Kritik, die – global village hin oder her – immer noch vorwiegend in den Metropolen fischt. Aber Norbert Silberbauers Bücher stehen zur Lektüre bereit. Und vielleicht könnten sich einige der im Betrieb verankerten MitarbeiterInnen des vorliegenden Bandes, oder gar sein einstiger Verlag, darauf verständigen, zumindest eine posthume Beschäftigung mit seinem Werk zu initiieren. „Norbert Silberbauer und die verschütteten Traditionen realistischen Erzählens“ wäre ein würdiges Tagungsthema.

Norbert Silberbauer manchmal alles manchmal nichts
Hg.: Sylvia Treudl.
Erinnerungen an Norbert Silberbauer.
St. Pölten: Literaturedition Niederösterreich, 2010.
211 S.; geb.; m. Abb.
ISBN 978-3902717-07-8.

Rezension vom 09.10.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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