Von sehr unterschiedlichen Standpunkten aus wird das Thema beleuchtet, und der Bogen der Betrachtungen spannt sich von der Frage nach den Rollen(zuschreibungen), die literarischen Texten in bestimmten historischen Epochen zukommt (Doris Eibl untersucht diese Frage am Beispiel der frankophonen Literatur von Québec), über die Rezeptionshaltungen bei der Vermittlung russischsprachiger Kultur in der österreichischen Tagespresse (wobei Christine Engel deutlich macht, daß der Stellenwert, den literarische Werke im Ursprungsland haben, bei der Übernahme in ein fremdes kulturelles System nur wenig Berücksichtigung findet, und daß vielmehr politische Wertkonstanten die Vermittlungstätigkeit in den achtziger Jahren kennzeichneten), bis hin zu dem Versuch, den Begriff Literatur über den Begriff „Weltliteratur“ zu bestimmen (Zoran Konstantinovic). Während Gerhild Fuchs den Versuch unternimmt, Literatur unter dem Gesichtspunkt des Mediums, d. h. in einem Vergleich zwischen Literatur und Film mit Beispielen aus A. Moravias und B. Bertoluccis „Il Conformista“, abzugrenzen, analysiert Sieglinde Klettenhammer am Beispiel von Peter Handkes „Mein Jahr in der Niemandsbucht“, wie sich AutorInnen der Postmoderne mit Autorschaft, Literatur, künstlerischem Subjekt und Kunst auseinandersetzen und kommt zu dem Schluß, daß es möglicherweise die „Vielfalt der inhaltlich-thematischen und ästhetischen Auseinandersetzungen mit Erfahrungen, Empfindungen, gesellschaftlichen Entwicklungen, mit Sprache u. a.“ sind, die Literatur kennzeichnen, „ein Merkmal, das der Tendenz zur Vereinheitlichung von Wahrnehmungsweisen entgegensteht und neue Erfahrungen ermöglicht“ (S. 134). Elfriede Pöder bestimmt in ihrem Beitrag literarische Prozesse anhand der „Autorintention“, wobei sie die „Diskrepanz zwischen Absicht des Autors hier und Wirkung beim Publikum dort“ (S. 177) am Beispiel der „Wertherwirkung“ verdeutlicht. In seinen Versuch, den Begriff „Literatur“ zu bestimmen, geht Wolfgang Wiesmüller von der Legitimationsdiskussion der Germanistik aus. Anhand zweier synchroner Schnitte – 1970 und 1990 – skizziert er Veränderungen und Konstanten in der Legitimierung des Faches und arbeitet den Literaturbegriff heraus, mit dem argumentativ operiert wird. Sibylle Moser formuliert in ihrem Beitrag die Ausgangsfrage um in „Was bedeutet es, über literarisches Wissen zu verfügen?“ und beleuchtet diese vor dem Hintergrund konstruktivistischer bzw. empirischer Literaturwissenschaft. Um „Wissen“ geht es auch im Beitrag von Martin Sexl selbst, der Literatur als ein Medium definiert, welches – im Gegensatz zu einer „rationalen“ Sprache – Erfahrung(swissen) vermitteln kann. Daß die Frage danach, wie sich Literatur abgrenzen läßt, eine uralte ist, zeigt Karlheinz Töchterle in seinem Beitrag, in dem er uns vor Augen führt, daß es schon in der Antike heftige Kontroversen bezüglich der Aufgaben und Ziele der Literatur (z. B. im Gegensatz zu jenen der Geschichtsschreibung) gab. In einem zeitlichen Kontrast zu den Überlegungen Töchterles stehen jene der Literaturwissenschaftlerin und Science-Fiction-Autorin Elia Eisterer-Barceló. Sie richtet ihren Blick auf die Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion, zwischen realistischer und fantastischer Literatur und thematisiert in diesem Zusammenhang die Grenzziehung zwischen „hoher“ und „niederer“ Literatur. Interessant erscheinen auch die Aufsätze der beiden Linguisten, Barabara Stefan und Manfred Kienpointner. Während Stefan die ursprüngliche Frage ausdehnt und die Frage „Was ist Literaturwissenschaft?“ in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung rückt (deren Charakteristika sie anhand von Berührungspunkten zwischen Literatur- und Sprachwissenschaft zu umreißen versucht), nähert sich Kienpointner der Frage über Coserius‘ Thesen zu Sprache und Dichtung. Der Philosoph Josef Perger setzt sich in seinem Beitrag mit dem Pluralismus innerhalb der Erkenntnistheorie auseinander und zeigt in diesem Zusammenhang, daß pluralistische Auffassungen in der Literatur längst akzeptiert sind. So kommt er zu seiner Definition von Literatur, die er als eine „kulturell höchststehende Form der Einübung“ umschreibt: „Erfahren – Erkennen – Bewerten – Umsetzen“
(S. 173). Einen völlig anderen Ausgangspunkt wählen Tasos Zembylas und Allan Janik: Sie richten ihre Aufmerksamkeit auf die Frage „wo, wann und wie etwas (Texte, Handlungen, Konzepte etc.) als Literatur bzw. als Nichtliteratur bezeichnet wird“ (S. 257) und wenden sich institutionellen und kulturellen Instanzen (Gesetz, Markt, Berufsbedingungen von Autoren, Literaturkritik, Archiven) zu, die die Formation des Literatur- und Kunstbegrtiffs wesentlich mitbestimmen.
Der kurze Überblick über die Beiträge verdeutlicht die Vielfalt der Ansätze und der Abgrenzungskriterien, die für die Beantwortung der Frage „Was ist Literatur?“ von den AutorInnen gewählt wurden. Diese Heterogenität der Herangehensweisen an die Frage ist zweifelsohne sehr anregend, sie wird jedoch durch die alphabetische Anordnung der Aufsätze im Sammelband zusätzlich verstärkt, und an manchen Stellen wünschte sich der Leser den roten Faden, den Sexl in der Zusammenstellung – wie er schreibt – bewußt vermieden hat.
„Vorläufig, heterogen und fragend“, wie der Herausgeber vermerkt, liegen die Antworten in Form von „Skizzen“ vor. „Stimulierend, teilweise gewagt, bereichernd“, möchte man als Leser hinzufügen. Wenn der Band von Sexl erwartungsgemäß auch keine eindeutige Antwort, sondern nur eine Vielzahl möglicher Antworten geben kann, so ist etwas mit Gewißheit festzustellen: Sexl rüttelt mit seiner Frage „Was ist Literatur?“ an den Grundfesten der GeisteswissenschaftlerInnen, und es ist ihm dadurch gelungen, zumindest einen Teil der GeisteswissenschaftlerInnen an der Universität Innsbruck (die einen Großteil der Beiträge geliefert haben) wenigstens für einen Moment wachzu“rütteln“.
Angesichts dieses gelungenen Bandes bleibt also nur zu hoffen, daß Sexl und andere Literatur- und GeisteswissenschaftlerInnen „diese Frage immer wieder und immer wieder neu […] stellen“ (S. 12) werden.