Die HerausgeberInnen Ingrid Schramm und Michael Hansel haben einen geschickten Dreischritt gewählt: Am Anfang steht ein Blick auf die „Wiener Salonkultur ab der Jahrhundertwende“ (Deborah Homes), gefolgt von einem Aufsatz zu Spiels Biografie der Salonière Fanny von Arnstein und schließlich die fünf weiteren Untersuchungen, die mit unterschiedlichen Schwerpunkten Spiels Netzwerke im Literaturbetrieb und Spiels Rolle als Netzwerkerin beleuchten. Dass hier zu Beginn weiter ausgeholt wurde, erweist sich als sinnvoll, wurde doch Spiel in eine Zeit hineingeboren, in der der literarische Salon, die weibliche Salonkultur in Wien von Alma Mahler-Werfel, Berta Zuckerkandl und Eugenie Schwarzwald noch intensiv gepflegt wurde. Zudem war Spiel als Schülerin der Schwarzwald-Reformschule mit den Aktivitäten Eugenie Schwarzwalds vertraut (die sie kritisch beurteilte).
Ingrid Schramm schreibt über das 1962 publizierte Buch „Fanny von Arnstein oder Die Emanzipation“, in dem es Spiel weniger um die weibliche als um die jüdische Emanzipation zu tun ist. Spiel sah Arnstein, so Schramm, als „Wegbereiterin für die Integration der Juden in die christliche Gesellschaft“. Arnstein führte keinen explizit literarischen, vielmehr einen „künstlerischen“ Salon, der vor allem durch den häufigen Gast Mozart bekannt wurde. Leider konzentriert sich Schramm fast ausschließlich auf den Inhalt des Buches, auf die Gepflogen- und Besonderheiten dieses Salons, auf spannende Spuren in der Biographie Mozarts und Arnsteins, und weniger auf das biographische Verfahren Spiels, auf Spiels Blick auf die Salonière Arnstein, auf Parallelen zu ihren eigenen „Salons“.
Der Beitrag von Hilde Spiels Nachlassverwalter, Hans A. Neunzig, verspricht im Titel nichts weniger als „Hilde Spiels literarische Netzwerke“ vorzustellen. Der Autor liefert zwar keine Netzwerkanalyse und schweift mitunter weit ins Biographische ab und entfernt sich so von den Netzwerken, aber das Anekdotische seines Textes ist erhellend. Zwar wäre es nicht uninteressant gewesen, einige Beispiele mehr aus der „unzähligen“ Zahl der Begegnungen mit Künstlern zu erfahren, aber die wichtigsten Namen wie Robert Neumann, Theodor Kramer oder Melvin J. Lasky werden genannt. Neunzig führt auch die bezeichnenden Ereignisse 1972 im Zentrum einer literarischen Netzwerk-Organisation aus, als Spiel versuchte, PEN-Club-Präsidentin zu werden und eine Niederlage erlitt. Eine spannende Detailanalyse liefert Esther Schneider Handschin, die sich mit den sozialen und publizistischen Aktivitäten des Ehepaars Spiel-Mendelssohn in Berlin 1946–48 beschäftigt. Spiel wurde zu einer „wichtigen Zeitzeugin im Vorfeld der Gründung des Kongresses für kulturelle Freiheit“ und „des sich anbahnenden Kalten Krieges“. Hier wird erstmals im Buch klar, wie Spiels „Salon“, wie ihre Netzwerke funktionierten. Leider fällt Schneider Handschins Beitrag orthografisch und wegen fehlender Konsistenzen etwas aus dem Rahmen (vielleicht stieß das Applanieren des Schweizer Deutsch auf Schwierigkeiten).
Evelyne Polt-Heinzls Beitrag ist nicht zuletzt wegen seiner kritischen Töne in diesem Geburtstagsportrait wichtig. Die Autorin spricht etwa von einem „unverhohlenen Nepotismus“ (als Peter de Medelsohn als Chefredakteur seine Gattin zur Theaterkritikerin macht), oder von einer „gewissen politischen Blauäugigkeit“ nach links und rechts – so sei etwa im Haus in St. Wolfgang die Frage nach der NS-Vergangenheit der Besucher ausgeklammert worden. Und Spiels Verhältnis zum Judentum sei ein Konfliktpunkt gewesen, so habe sie stets die ostjüdische Verwandtschaft des Vaters verschwiegen.
Mag man bei Neunzigs Beitrag noch den einen oder anderen Namen im Netzwerk vermissen, so kommt man spätestens bei Michael Hansels und Ingrid Schramms Beitrag zum „grünen Salon am Dittelbach“ bezüglich des name droping voll auf seine Rechnung. Hier wird eine „kleine Auswahl“ von vier Dutzend Künstlern aus dem Gästebuch des Sommerhauses in St. Wolfgang namentlich wiedergegeben. Aus der schieren Zahl (die man ja x-fach hochrechnen muss) lässt sich erahnen, wie viel Arbeit in diesem networking steckte, aber auch das diesbezügliche Geschick Spiels, die sehr gegensätzliche Persönlichkeiten (samt ihrer so unterschiedlichen ästhetische Positionen) unter ihrem Dach vereinte, etwa Reinhard Priessnitz und Hans Weigel. Solche Widerparts wird sie selten gemeinsam empfangen haben – die Anekdote, wie sich Thomas Bernhard und ihr Nachbar Alexander Lernet-Holenia, der eine „besonders tiefe Abneigung“ gegen Bernhard gehegt habe, in ihrem Haus begegneten, geben Hansel und Schramm denn auch ausführlich wieder. Die falsche Behauptung, dass in Spiels Roman „Verwirrung am Wolfgangsee“ (1935) das „damals noch unberührte, verträumte St. Wolfgang“ wiedergegeben sei, wie die beiden schreiben, korrigiert übrigens Christa Gürtler in ihrem Beitrag über Spiel und Salzburg, indem sie von der „mondänen Sommerfrische“ schreibt, die man in diesem Roman finde.
Gürtlers Beitrag rundet das Bild von der Netzwerkerin Spiel sehr gut ab, sie widmet sich unter anderem der ambivalenten Beziehung Spiels zu Ingeborg Bachmann. Einerseits ist Spiel die freundschaftliche Kollegin, die sich freundlich, wenn auch nicht ohne Kritik zu Werken äußert und Hilfe bei der Wohnungssuche anbietet, andererseits macht sie gegenüber Dritten deutlich, dass sie gerade die Prosa Bachmanns für überschätzt hält.
Es ist diese Vielschichtigkeit, mit der das Buch Hilde Spiel portraitiert, die es zu einer wertvollen Publikation, und es sind die ansprechende Gestaltung und auch die ergänzenden Farbfotos, die es zu einer angenehmen Lesebegegnung machen.