Fotografisch werden die Stationen eines Lebens dokumentiert, das von Bernhard im nachhinein – mit wenigen lichten Ausnahmen – als ein „Gang durch die Hölle“ gesehen wurde: Die Gegend vor Straß, wo das Kind in seinem Plan, nach Salzburg zu radeln, scheitert. Das Internat Johanneum, in dem der Schüler „durch einen staatlich-faschistischen-sadistischen Erziehungsplan“ (S. 54) von Grund auf zerstört wird. Die Scherzhauserfeldsiedlung (die heute die Ehre hat, eine Thomas-Bernhard-Straße zu besitzen) mit dem berühmten Keller des Lebensmittelhändlers Podlaha, der Bernhard als Lehrling aufgenommen hatte. Dann das Landeskrankenhaus, das Sanatorium Großgmain und schließlich die Lungenheilstätte Grafenhof: Ein Schreckensort, an dem der Todkranke gegen die Hoffnungslosigkeit ankämpft, bewacht vom 2000 Meter hohen Berg Heukareck, der seine Schatten auf die Dahinsiechenden wirft. „Welche infame Scheußlichkeit hat sich der Schöpfer hier ausgedacht, war mein Gedanke gewesen, was für eine abstoßende Form von Menschenelend.“ (S. 118)
Auch wenn der Schriftsteller selbst immer wieder in Interviews betont hat, daß er nie Orte und Landschaften beschrieben habe, so spielen doch besonders in den autobiografischen Büchern (aber auch im übrigen Werk) die „Beschwörungen“ (Wieland Schmied) von Orten eine wesentliche Rolle. Erika Schmieds Photos sollen die „atmosphärische Authentizität der Schilderungen Bernhards belegen“ (S. 17). Und dennoch können sie nur – und dessen sind sich die Schmieds bewußt – eine Annäherung sein, ein diskreter fotografischer Spaziergang auf den Spuren des Dichters.
Die Bilder stellen keineswegs den Anspruch, die „Realität“ der Bernhardschen Kindheit und Jugend zu zeigen. Wieland Schmied weist im einleitenden Essay darauf hin, daß es dem Schriftsteller selbst ebenfalls nie um biografische Wahrheit gegangen ist, sondern um Authentizität im weitesten Sinne. „Wir müssen sagen, wir haben nie etwas mitgeteilt, das die Wahrheit gewesen wäre, aber den Versuch, die Wahrheit mitzuteilen, haben wir lebenslänglich nicht aufgegeben.“ (S. 14) Diesen Satz abwandelnd könnte man über den vorliegenden Bildband urteilen, er stelle einen Versuch dar, die Imaginationskraft des Werkes zu dokumentieren und (subjektive) Einsichten in die Welt Bernhards zu liefern. Die Orte seien gerade für letzteres Vorhaben besser geeignet, so Wieland Schmied, als etwa Porträts der Personen, mit denen Bernhard zu tun hatte, oder eine Liste der Bücher, die ihn damals beschäftigt haben.
Ein wenig boshaft könnte man dagegen mit Franz-Josef Murau, dem Protagonisten des letzten Bernhard-Romans „Auslöschung“, argumentieren, der seinen Schüler in Rom ausdrücklich vor solchen Ambitionen warnt: „Hüten Sie sich, Gambetti, die Orte der Schriftsteller und Dichter und Philosophen aufzusuchen, Sie verstehen sie nachher überhaupt nicht, Sie haben sie in Ihrem Kopfe tatsächlich unmöglich gemacht dadurch, daß Sie ihre Orte aufgesucht haben, ihre Geburtsorte, ihre Existenzorte, ihre Sterbensorte.“
Soweit muß man freilich nicht gehen. Anders als viele Bücher über den Übertreibungskünstler versteht es der Band von Erika und Wieland Schmied, die Distanz gegenüber Werk und Person zu wahren und jegliche Vereinnahmung zu unterlassen. Und außerdem regt er zum (Wieder-)Lesen der Autobiografie an.