#Sachbuch

Die Welten des Paul Frischauer

// Rezension von Heinz Lunzer

Wer kennt Paul Frischauer? Nein, nicht den kommunistischen Politiker, sondern den Schriftsteller. Macht nichts, es kommt nicht auf die heutige Bekanntheit eines Autors an. Das literarische Leben eines Landes besteht aus dem Nebeneinander von vielen Autoren, und vielen geht’s wie ihm – oder nein, nicht einmal das: Frischauer hat immerhin eine Erfolgswelle genossen, spät in seinem Leben sechsstellige Auflagenzahlen erreicht – aber mit welchen Werken.

Sohn von Zeitungsmagnaten (Vater Frischauer: „Neues Wiener Tagblatt“; Mutter Klebinder: „Wiener Sonn- und Montagszeitung“) und einflußreichsten Gesellschaftslöwen (Erzfeind: Karl Kraus), Bruder von Journalisten und Juristen, studierte Paul Frischauer (1898-1977) Geschichte in Wien.

Historische Themen, die er in Romanen fantasievoll aufbereitet, sind von da an sein Metier. Mittlere Erfolge erlebt er im Zsolnay Verlag der 20er und beginnenden 30er Jahre mit „Dürer“ und „Prinz Eugen“, schwache Erfolge im Exil mit „Beaumarchais“, „A Great Lord“ über die Napoleonzeit oder „The Imperial Crown“ (deutsch: „Die Habsburger“). (Ein zweifelhafter Erfolg mit einem Lob- und Preisbuch für Brasiliens autoritär regierenden Präsidenten Getulio Vargas (1943)). Schließlich die großen Erfolge mit Sachbüchern für deutsche Buchgemeinschaften der Nachkriegszeit: die simplen, prickelnd gemachten Überblicke wie „Weltgeschichte in Romanen“, „Knaurs Sittengeschichte der Welt“, „Moral und Unmoral der deutschen Frau“.

Alles literarische Bemühen im Geist des guten Freundes Stefan Zweig, aber die längste Zeit nicht mit dessen geschäftlichem Erfolg. In der Überzeugung, als Schriftsteller sich gewandt und spannend ausdrücken zu können, Aktuelles rasch umzumünzen, mit einem gewissen Gefühl für das, was das Publikum möchte (historische Herz-Schmerz-Größe-Genieromane) schreibt Frischauer Geschichten, in der lange irrigen Erwartung, daß diese Literatur ihm den von Jugend auf gewöhnten Wohlstand sichern wird.

Die biografischen Stationen sind, dem Verlauf des Jahrhunderts gemäß, wild: Wien, Berlin, 1934 als NS-Gegner und -Verfolgter nach London, BBC und Propaganda, 1940 nach Brasilien, gewandelt zum Bewunderer Präsident Vargas (der eben die Wendung vom Freund der Deutschen zum Partner der Alliierten vollzieht), 1945 in die USA, 1957 zurück nach Wien – stets als Autor, Journalist und Vermittler zwischen Einflußreichen der Wirtschaft, des Geldes, der Macht.

Frischauers Kunstverständnis war nicht stark ausgeprägt. Große Literatur ist das nicht. Trotzdem sind sein Leben und sein Werk es wert, im Rahmen eines Forschungsprojekts untersucht zu werden. Forschungswürdigkeit ist nicht am Ruhm des Objekts zu messen. Literaturgeschichte, soweit sie nicht durch Resumées brillieren will, muß für Einzeluntersuchungen ins Detail gehen, so nah wie möglich an das historische Geschehen heran, um Motivationen und Ziele, Ergebnisse und Schiffbrüche freizulegen: die historische Sicht, die gesellschaftlichen Hintergründe, die von außen bedingten Kräfte, die das Leben des Protagonisten hin- und herwerfen.

Das Buch über Paul Frischauer von Prutsch und Zeyringer ist Ergebnis einer zweijährigen Recherche, finanziert vom Fonds zur Förderung wissenschaftlicher Forschung: ein reiches, volles Bündel von Ergebnissen und Details, und dennoch ein Zwischenbericht. Das liegt einerseits an der komplizierten Quellenlage, die weit weg von dem ist, was man sich wünscht: Die Liste der Quellen ist groß, viele davon waren schwer aufzuspüren, manche blieben verschlossen, viele sind verloren (leider gibt es besonders wenig biografische und autobiografische Dokumente von seiner Hand). Aus dieser Not eine Tugend gemacht, liefern Prutsch und Zeyringer viel spezifischen und viel allgemeinen „historischen Kontext“ mit. Sie brillieren in der Absicht, sich informiert zu zeigen, sich germanistischen Kürläufen gewachsen zu erweisen, es gut, wenn nicht besser zu wissen.

Da gibt es Blitzporträts zur Presseszene um die Jahrhundertwende, zum Kaffeehausleben der Intellektuellen in Wien, zum Zsolnay Verlag, zum so beliebten Genre des historischen Romans in der Zwischenkriegszeit, zu den Entwicklungs-Kapriolen der britischen Geheimdienst-Abteilungen, der Exilliteratur. Oft treffende Skizzen, oft nur namedropping, aber immer mit Appositionen, zur Erinnerung oder zur stückweisen Information.

So erfährt man erstmals von der ersten Frau Frischauers, „eine protestantische Jüdin“, in einem Schaltsatz zwischen mehreren Informationen über Joseph Roth (S. 35/36). Dann lernen wir sie anläßlich der Wohnsituation Frischauers in Berlin per Nebensatz als „journalistisch tätige[n] promovierte[n] Kunsthistorikerin“ kennen (S. 43). Ob sie auf ihn und die Wahl seiner Romansujets Einfluß ausgeübt hat, erfahren wir nicht, auch keine Überlegung, ob das wohl leicht möglich gewesen sein könnte. Schon lebt man wieder getrennt – was anläßlich der Finanznot des Autors im Jahr 1930 so ganz nebenbei erwähnt wird (S. 67). Mehr nicht über diese Ehe! Von zwei der anderen drei Frauen des Autors wird ausführlicher berichtet. Quellenlage oder geringes Interesse, in die Tiefe zu steigen?

Über Frischauers Studium hätte man gern mehr gewußt (von bis, welche Inhalte, Dissertationsthema?), wo es doch einen bleibenden, wenn vielleicht nicht tiefen Eindruck hinterließ.

Das ist ein rasantes Buch, das nicht verweilt und Fragen stellt, es ist mehr ein Buch der Details rundum als eines der Tiefe. Rasch weiter ist die Devise, die Situationen durch illustrative Berichte Dritter skizzieren, seine Werke analysieren (was dankenswerterweise für die Zeit nach 1945 verebbt). Frischauer selbst bleibt gelegentlich im Dunkel. Das liegt, so die Autoren, an der schmalen Quellensituation. Umso beachtenswerter ist es, was sie zusammengetragen haben, umso wichtiger ist es, daß solche mühsame Arbeit geschieht, und Forscher nicht nur breite, bequeme Wege gehen.

Ursula Prutsch, Klaus Zeyringer Die Welten des Paul Frischauer
Ein „literarischer Abenteurer“ im historischen Kontext. Wien – London – Rio – New York – Wien.
Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 1997.
(Literatur und Leben 51).
362 S., geb.; m. Abb.
ISBN 9783205987482.

Rezension vom 13.11.1997

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.