#Sachbuch

"Seh'n Sie, das Berühmtwerden ist doch nicht so leicht!"

Irene Lindgren

// Rezension von Irène Lindgren

„Ich habe keinerlei Bedürfnis, mich über meine Werke auszusprechen“, schrieb Arthur Schnitzler am 24. September 1913 an den Journalisten Carl Schauermann. Das vier Zentimenter dicke Buch, das die schwedische Germanistin Irène Lindgren aus Selbstaussagen Schnitzler zu Entstehung, Inhalt und Wirkung seiner schriftstellerischen Arbeiten nun vorlegt, ist ein äußerst schwergewichtiger Gegenbeweis.

Monumentale Arbeiten wie diese, die akribisch zusammentragen was zuvor verstreut und damit schwer auffindbar war, nötigen Bewunderung für den Fleiss und die Sorgfalt ab, mit der wohl in jahrelanger Arbeit Zitate zusammengetragen, kommentiert und für das Fachpublikum mit einer Reihe von Registern und Verzeichnissen benutzerfreundlich aufbereitet wurden. Es ist auch ein Gefühl der Dankbarkeit, dass damit künftigen ForscherInnen eine Menge Recherchearbeit abgenommen wird. Wenn hier dennoch einige Bedenken oder Fragen angemerkt werden, sollte diese Grundhaltung dabei immer mitgedacht werden.

Etwas verblüffend ist zunächst schon der Einstieg. Das Vorwort hebt eigenartig rechtfertigend an, als bedürfe es immer noch eines Beweises, dass Arthur Schnitzlers Werk – mittlerweile eines der germanistisch meist beackerten – der wissenschaftlichen Forschung wert sei. Die folgenden mehr als 600 Seiten reiner Textkorpus mit den kommentierten Selbstaussagen Schnitzlers sind eher spartanisch gegliedert: „Allgemeine Äußerungen zum Schaffensporozess und zum Dichterberuf“ (ca 70 Seiten), „Zu Schnitzlers Lebzeiten veröffentlichte Werk“ (knapp 500 Seiten), „Entwürfe und posthum Veröffentlichtes“ (knapp 30 Seiten), „Leben und Nachklang – Werk und Widerhall“, „Aphorismen“, „Kritik und Selbstkritik“ (zusammen 40 Seiten).

Der Hauptteil zu den zu Lebzeiten veröffentlichten Werken ist nach Werktiteln, chronologisch nach Erstveröffentlichungs- und Uraufführungsdaten geordnet (in der Kopfzeile wird dabei immer nur die Überschrift des gesamten Kapitels auf der rechten wie linken Seite wiedergegeben, leider nicht das jeweilige Werk – dazu muss man im Inhaltsverzeichnis nachblättern). Zu den einzelnen Titeln finden sich, wiederum chronologisch, die ensprechenden Zitate aus den Tagebüchern und dem umfangreichen Briefwechsel Arthur Schnitzlers. Nicht ausgewertet ist die Autobiografie „Jugend in Wien“. Die Begründung, dass die darin enthaltenen Aussagen aus der zeitlichen Distanz und mit literarischer Intention entstanden sind (S. 611), kann nicht ganz überzeugen, denn bei den übrigen Zitaten werden sehr wohl nachträglich reflektierende Selbstaussagen aufgenommen und auch beim Tagebuch war Schnitzlers Intention ja durchaus auf Öffentlichkeit ausgerichtet.

Was bei den Textsammlungen zu einzelnen Werken in dieser Sammlung sehr gut sichtbar wird, ist die große Distanz, die oft zwischen ersten Überlegungen und Entwürfen und der tatsächlichen Ausführung liegt und der im Tagebuch bekannt sorgfältig dokumentierte Arbeitsprozess. Unstimmigkeiten und Inkonsequenzen in der Auswahl der Zitate sind bei diesen Textmengen wohl unvermeidlich. In der Regel werden zum Beispiel jene Notizen durchaus aufgenommen, die sich auf die Niederschrift des Werkes beziehen und auf die privaten Lesungen aus dem Werk, in denen Schnitzler seine Wirkung zu erproben pflegte. In anderen Fällen, wie zum Beispiel beim „Leutnant Gustl“ ist das, ohne Angabe von Gründen, nicht der Fall. Bedauerlicher vielleicht, dass entgegen dem Anspruch, mit der Dokumentation auch nachvollziehbar zu machen, „wie fast das gesamte literarische Oeuvre Schnitzlers auf realem Boden fußt“ (S. 21), gerade bei der autobiografisch wichtigen Novelle „Fräulein Else“, all jene Tagebuchstellen nicht zu finden sind, die sich mit den zahlreichen Träumen beschäftigen, die Schnitzler in allen Phasen der intensiven Arbeit an dem Text heimsuchten. Es scheint also doch so zu sein, dass in konkreten Einzelfällen tiefer gehende Recherchen in den Textmassen der Tagebücher und Briefe noch ausstehen bzw. an anderen Orten, wie der „Erläuterungen und Dokumente“-Reihe des Reclam Verlages, zu suchen sind. Nicht aufgenommen sind häufig auch jene Tagebucheintragungen, die sich auf Schnitzlers aktive und engagierte Beteiligung an der verlegerischen Produktion beziehen: er verhandelte über Schriftart und Seitenspiegel ebenso wie über die graphische Covergestaltung.

An Funden reich ist dieser voluminöse Band natürlich allemal, auch an schönen Bonmots wie jenem zum Umgang mit Kritik: „Die Philosophie hilft wohl gegen die Todesangst, aber nicht gegen Flohstiche“.

Offener Brief an Frau Dr. Evelyne Polt-Heinzl,

seit Juli 2003 liegt Ihre Rezension über mein Buch „Seh’n Sie, das Berühmtwerden ist doch nicht so leicht!“ Arthur Schnitzler über sein literarisches Schaffen im Internet. Obwohl die Rezension auch viel Positives beinhaltet, lese ich sie jedes Mal mit sehr gemischten Gefühlen, denn sie zeigt, dass Sie mein Buch beim Verfassen der Rezension noch nicht ganz gelesen hatten. Seit drei Jahren möchte ich deshalb einige Berichtigungen zu Ihren Kommentaren machen:

1. Was den „Einstieg“ des Vorwortes betrifft schreibe ich hier:

Es ist längst bekannt, daß Schnitzler nicht den Klischees entspricht, die sich seit ehedem um seinen Namen rankten. Trotzdem stößt man immer wieder auf die alten Vorurteile, und deswegen ist es nützlich, an dieser Stelle noch einmal auf die vorgefaßten Meinungen und den Wandel der Auffassungen einzugehen.

Schon hier wird es jedem Leser deutlich, dass mein Buch sich sowohl an diejenigen wendet, die sich für Schnitzler interessieren, denen Schnitzler und sein Werk aber nicht so bekannt sind, als auch an diejenigen, die immer noch gegen Schnitzler und sein Werk voreingenommen sind. Dass die letztere Personengruppe immer noch existiert, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Es geht also nicht darum, den eingeweihten Schnitzlerkennern einen Beweis dafür zu liefern, dass „Schnitzlers Werk der wissenschaftlichen Forschung wert sei“, wie Sie andeuten, denn das ist tatsächlich nicht notwendig.

2. Natürlich wäre es optimal gewesen, wenn man die Werktitel in der Kopfzeile der jeweiligen Seite hätte angeben können. Ich war hier mit dem Problem konfrontiert, dass Kapitelüberschrift und Werktitel in der Kopfzeile hätten erscheinen müssen, und dass manchmal mehrere Werke auf der gleichen Seite behandelt werden. Das war erstens eine Frage des Platzes, weil ich Abkürzungen hätte verwenden müssen, was nicht leserfreundlich ist, und zweitens ein layouttechnisches Problem, weil ich für jede Seite eine eigene Kopfzeile hätte erstellen müssen, was schon bei leichten Veränderungen des Seitenumbruchs chaotische Folgen haben kann. Ich habe mich deshalb entschlossen, nur die Kapitelüberschriften in der Kopfzeile zu haben. Das ausführliche Register hilft bei der Suche nach Textstellen.

3.Die Gründe, weshalb ich die Selbstaussagen Schnitzlers in seiner Selbstbiographie nicht aufgenommen habe, sind im Nachwort genau angegeben. Diese Aussagen sind nämlich nicht nur aus zeitlicher Distanz entstanden, sondern von Anfang an und vor allem als literarisches Werk und nicht als unverarbeitetes Lebensdokument konzipiert. Deswegen betrachte ich sie nicht als völlig „unverfälschte“ Aussagen, denn wie ich schreibe, als gültige Selbstaussagen verstehe ich nur solche „die weder zum Druck befördert noch im Hinblick auf eine spätere Publikation geschrieben wurden.“ Ich schreibe auch:
Selbstäußerungen, die entweder schon zu Lebzeiten des Dichters in Form von Interviews oder später als erinnerte Gespräche, d. h. von Zeitgenossen überlieferte, mündliche Äußerungen des Dichters, die in Zeitungen oder Zeitschriften erschienen sind, nehmen eine Art Zwitterstellung ein und wurden hier als Bestätigung bzw. Widerlegung einer Aussage in Brief oder Tagebuch herangezogen.
Was wiederum die Aufzeichnungen im Tagebuch betreffen, waren sie von Anfang an nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Erst mit wachsendem Ruhm wurde ihm die Bedeutung seiner Tagebücher und damit die Möglichkeit einer späteren, möglichen Veröffentlichung bewusst. Das erste Mal, dass Schnitzler in seinem Tagebuch eine eventuelle Publikation andeutet, ist am 15. Mai 1910, als er an seinem 48. Geburtstag notiert: „Spaziergang allein […]. Ohne Sentimentalität Nachlaßbestimmungen bedacht.“ Seine testamentarischen Bestimmungen über den schriftlichen Nachlass, die er am 16. August 1918 im Alter von 56 Jahre aufstellt, verraten Schnitzlers eigene Ansicht über den höchst persönlichen Charakter seiner Lebensdokumente: „Da sowohl die Autobiographie als die Tagebücher in keiner Weise verfälscht, also nicht gemildert, gekürzt oder sonstwie verändert werden dürfen, verbietet sich ihre Popularisierung – insbesondere die der Tagebücher von selbst.“
Da ich bei meiner Forschung sämtliche Tagebuchaufzeichnungen Schnitzlers mehr als einmal gelesen und dabei bewusst auch auf Ausdrucksweise und eventuell veränderten Ton in den späteren Aufzeichnungen geachtet habe, kann ich mit Sicherheit sagen, dass es weder thematische, sprachliche oder sonstige Belege dafür gibt, dass Schnitzler mit wachsendem Wirken und Ruhm seine Tagebücher im Hinblick auf Öffentlichkeit und Veröffentlichung geschrieben hat. Mehrmals drückt er auch in den Tagebüchern seine Absicht aus „aufrichtig zu sein“. Schnitzlers Leitspruch bei dem Entwurf seiner Autobiographie: „ich werde kein wissentlich unwahres Wort niederschreiben“ (JiW, S. 319) könnte sogar mit mehr Berechtigung über ihrer „Urquelle“, dem Tagebuch, stehen. Ich sehe hier von den manchmal „stilisierten“ Tagebuchaufzeichnungen des jungen Schnitzlers ab.
Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang auf das Schlusskapitel meines Buches Arthur Schnitzler im Lichte seiner Briefe und Tagebücher (Universitätsverlag C. Winter, Heidelberg 1993) hinweisen, wo ich näher auf den Wahrheitsgehalt von Schnitzlers Lebensdokumenten eingehe und auch das diesbezügliche Verhältnis zwischen Selbstbiographie und Tagebuch diskutiere.

4. Wenn Sie das Vor- resp. Nachwort meines Buches nochmals gründlich lesen, werden Sie sehen, dass es die von Ihnen bemängelten Unstimmigkeiten und Inkonsequenzen in der Auswahl der Zitate in Bezug auf Leutnant Gustl und Fräulein Else nicht gibt. Im Nachwort, wo ich editoriale Probleme behandle, schreibe ich:

Wegen der Arbeitsart Schnitzlers zugleich an mehreren Werken zu schreiben mußten einzelne Brief- bzw. Tagebuchauszüge oft zerstückelt werden. Dabei war es nicht immer möglich, so zu trennen, daß sich die jeweiligen Abschnitte nur einem Werk zuweisen ließen, weshalb eine auch annähernd vollständige Zusammenfassung aller Aussagen zu einem Einzelwerk innerhalb eines geschlossenen Kapitels nicht möglich war. Belege wurden jedoch nur einmal aufgenommen, auch wenn sie sich auf mehrere Werke beziehen. […] Die Anmerkungen bemühen sich, die zerrissenen Zusammenhänge soweit möglich wieder herzustellen. Zur vollständigen Erfassung aller Äußerungen zu einem bestimmten Werk sei auf das Werkregister hingewiesen. [meine Hervorhebung]

Dies ist z.B. der Fall bei Leutnant Gustl, wo scheinbar die Eintragungen der Jahre 1910 bis 1929 fehlen, weshalb ein flüchtiger Leser glauben könnte, ich habe sie ausgelassen. Stattdessen finden sie sich in Zusammenhang mit einem anderen Werk (z.B. Fräulein Else) bzw. in einem anderen Kontext. Schnitzler hat sich in seinen Briefen und Tagebüchern verhältnismäßig wenig zu dieser Novelle geäußert, weshalb ich andere Selbstdokumente im Nachlass herangezogen habe (siehe letzte Eintragung des Abschnittes über Leutnant Gustl bzw. Fußnoten). Bei sowohl diesem Werk wie bei Fräulein Else habe ich ebenso gewissenhaft und wissenschaftlich gearbeitet, wie bei den anderen Werken auch, weshalb man hier nicht von „Unstimmigkeiten und Inkonsequenzen“ reden kann. Die Tatsache, dass die Tagebuchstellen, die „sich mit den zahlreichen Träumen beschäftigen“, fehlen, erklärt sich dadurch, dass ich, wie schon der Titel meines Buches ahnen lässt, nur Schnitzlers direkte Aussagen und wache Überlegungen über sein literarisches Schaffen berücksichtigt habe, nicht seine Träume darüber.

Mir scheint, Sie haben sich bei Ihrer Besprechung meines Buches vor allem auf diese beiden Novellen konzentriert, eben weil Sie selber sich näher mit diesen Werken beschäftigt haben. Die Bände aus der Reclam-Reihe „Erläuterungen und Dokumente“, auf die Sie in Ihrer Rezension hinweisen, stammen ja aus Ihrer Feder, auch wenn dies aus der Rezension nicht hervorgeht.
Was schließlich Ihre Bemerkung „Nicht aufgenommen sind häufig auch jene Tagebucheintragungen, die sich auf Schnitzlers aktive und engagierte Beteiligung an der verlegerischen Produktion beziehen […]“ betrifft, möchte ich folgende Berichtigung bzw. Bemerkungen machen. Ich habe mich diesbezüglich vor allem an Aussagen in Briefen gehalten, die viel ausführlicher als einzelne Tagebuchkommentare seine Verhandlungen mit Verlegern und Theaterdirektoren wiedergeben. Mehrere Briefauszüge dieser Art finden sich entweder in Zusammenhang mit dem jeweiligen Werk oder im Kapitel sechs meines Buches, das nicht nur Selbstkritik und Äußerungen über Publikums- und Kritikerrespons beinhaltet.

Wie Sie wahrscheinlich wissen, ist Schnitzlers Korrespondenz mit Verlegern und Direktoren sehr groß, worauf ich auf Seite 24 in der Einführung näher eingehe. Auch wenn man nur die Brief- und Tagebuchaussagen Schnitzlers, die sein Engagement für das weitere Schicksal seiner Werke, wie z.B. Inszenierungen seiner Theaterstücke oder Schriftart und Seitenspiegel eines zu veröffentlichen Werkes, zusammenstellen wollte, würde daraus ein umfangreiches und zudem sehr langweiliges Buch werden. Ich möchte Sie hier auf eine Fußnote, Seite 24 in meinem Buch hinweisen, die erklärt, weshalb ich nicht alle Aussagen dieser Art aufnehmen konnte, eine Bemerkung, die Sie offenbar überlesen haben:

Die Korrespondenz mit Verlegern, mit Theater-, und – in den späteren Jahren auch – Filmdirektoren, die sich in Schnitzlers hinterlassenen Selbstdokumenten findet, ist sehr umfangreich. Obwohl die Grenzen dessen, was sich im weitesten Sinne auf literarisches Schaffen bezieht, sehr fließend sind, mußte hier streng ausgewählt werden, weshalb in dieser Arbeit verhältnismäßig wenige Briefaussagen aus dieser Art Korrespondenz berücksichtigt werden konnten.

Ich hoffe, dass Sie nach einer erneuten Lektüre meines Buches mit mir übereinstimmen, dass ihre Rezension meinem Buch nicht ganz gerecht wird. Ich habe deshalb das Literaturhaus gebeten, diesen Brief an Sie als Replik auf Ihre Rezension im Internet zu veröffentlichen, da es auch in anderen Publikationen üblich ist, dass rezensierte Autoren sich über Rezensionen äußern können.

Mit freundlichen Grüßen
Irène Lindgren, Dr. phil. habil.

Irene Lindgren „Seh’n Sie, das Berühmtwerden ist doch nicht so leicht!“
Arthur Schnitzler über sein literarisches Schaffen.
Franfkurt am Main u.a.: Lang, 2002.
705 S.; geb.
ISBN 3-631-49785-7.

Rezension vom 02.07.2003

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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