Bei Cordelia Edvardson dokumentiert Eva Lezzi die anfängliche Sprachlosigkeit des Mädchens, das zwar überlebt hat, sich jedoch in einem „Land der ungreifbaren, unerlösten Angst ohne Sprache und Worte“ befindet. (S. 212) Sie kann nicht darüber sprechen und wird doch von ihrer Mutter Elisabeth Langgässer gebeten, genau das zu tun, damit sie, die Mutter, die Berichte über ihre Erfahrungen vermarkten kann. Die Tochter reagiert beim Schreiben: „Ich kann jetzt nicht weiterschreiben. Ach Mama wie konntest Du mich darum bitten.“ (S. 214). Die deutsche Sprache wurde ihr gestohlen: „Sie gehörte mir einmal, und sie wurde mir gestohlen. Wie so vieles andere. Die deutsche Sprache von heute ist mir fremd, ich habe keinen Zugang zu ihr.“ (S. 218) Die Verfasserin sellt wertend fest: „Edvardson postuliert, dass nur die Überlebenden selbst imstande seien, Zeugnis zu geben, andererseits wurden diese gerade aufgrund der Erfahrungen, die sie bezeugen wollen, der Sprache hierfür beraubt.(…) Edvardson führt den erzählerischen Bogen nahe, Klüger bis ganz an die Schreibgegenwart heran. Dennoch haben beide Texte einen klaren Fokus auf die Kindheit und sind entsprechend als Kindheitsautobiographien, genauer als eine der neuesten literarischen Entwicklungen dieser Gattung aufzufassen.“ (S. 214, 341)
Bei Ruth Klüger betont die Verfasserin, daß sie den Text autobiographiegeschichtlich verorten und herausarbeiten möchte, welches Erzählmodell dieser Text innerhalb der deutsch-jüdischen Kindheitsautobiographik zur Shoah realisiert. (S. 230) Klügers Mutterbild deutet sie zu Recht als ambivalenter als das Edvardsons (S. 235), die Mutter-Tochter-Auseinandersetzung findet aber bei Klüger in der Realität statt, nicht in verinnnerlichten Mutterbildern.
Lezzi schließt: „Die Ästhetik der Kindheitsautobiographien oszilliert demnach zwischen zwei Polen: zwischen einer in der Tradition eingebundenen Sprache und der Suche nach neuen Erzählstrategien, die selbst die Verfahren der Moderne noch in Frage stellen, weil sie auf eine Wirklichkeit verweisen müssen, die sprachlich nicht mehr ausdrückbar ist.“ (S. 356) Sie hat selbst einen wertvollen analytischen Beitrag geliefert.
Deborah Vietor-Engländer
11. Dezember 2001
Kurzfassung auch in: Germanistik. Jg. 42, 2001, Heft 2.