#Sachbuch

Kleine Geschichte des Hörspiels

Hans-Jürgen Krug

// Rezension von Evelyne Polt-Heinzl, Christine Schmidjell

„Eigenständige, ausschließlich radiogebundene, originäre Hörspielgeschichten gibt es heute kaum noch“ (S. 7), schreibt Hans-Jürgen Krug in seinem Vorwort, und wenig später: „Das Hörspiel, so viel steht fest, ist als Audiobook (neben dem Radio) zu einem Wirtschaftsfaktor geworden“ (S. 8).

Wohl unbewusst spannt der Autor zwischen diesen beiden einleitenden Statements die gesamte Problematik des Hörspiels, der heutigen Hörspielpflege und -forschung, und die liegt in der verschwommenen Begrifflichkeit.

Das Hörspiel als radiophone Kunstgattung mit eigenen Gesetzmäßigkeiten, Möglichkeiten und Potenzialen, die das Medium bietet, gerät im Reden über das Hörspiel leicht aus dem Blick. Was 1930 begann mit dem ersten vollständig aus Geräuschen, Musiksequenzen und Sprachpartikeln montierten Kurzspiel „Weekend“ von Walter Ruttmann, der sich mit „Berlin: Die Sinfonie der Großstadt“ (1927) auch als Filmpionier in die Mediengeschichte eingeschrieben hat, ist im Verlauf der Gattungsgeschichte marginalisiert geblieben. Heute sind akustische O-Ton Hörspiele in die Nische „Radiokunst“ abgewandert; was als Hörspiel firmiert sind überwiegend Adaptionen, dramatisierte Dialoge, monologische Lesungen, die zweifellos im ökonomisch erfolgreichen Segment Audiobook eine neue, für viele unerwartete Renaissance erleben. Zwar gibt es kaum noch eine Sendeanstalt, die nicht eigene CD-Produktionen gewinnträchtig zu vermarkten sucht oder auch mit Audioverlagen kooperiert, trotzdem scheinen die Sendeanstalten hier eher Entwicklungen nachvollzogen und nicht aktiv betrieben und mitgestaltet zu haben. In der Sendungsprogrammierung haben sich die veränderten Publikumsinteressen jedenfalls kaum niedergeschlagen.

Was Hans-Jürgen Krugs „Kleine Geschichte des Hörspiels“ bietet, ist eine solide Neuerzählung der Gattungsgeschichte. Von den Anfängen bis zu den 1980er Jahren kann er sich auf die Klassiker der Hörspielforschung stützen. Da diese Arbeiten zum Großteil vergriffen sind, ist dieser neue Überblick durchaus zu begrüßen.

Die Geschichte beginnt in den 1920er Jahren mit der schwierigen Annäherung der Schriftsteller an das neue, zunächst – ähnlich wie beim Film – gering geschätzte Medium, die in einer ersten Blütezeit in der späten Weimarer Republik mündet. 1932 wurden in Deutschland 460 „eigene“ Hörspiele von 278 verschiedenen Autoren produziert, wobei Krug eine Definition des „eigenen“ Hörspiels vermeidet. Aus dem Text ist aber zu vermuten, dass dabei keine klare Abgrenzung zu Bearbeitung / Adaption impliziert ist.

Bis 1930 wurden alle Hörspiele als Live-Sendungen inszeniert; die erste wissenschaftliche Arbeit über das junge Genre entstand interessanterweise 1930 an der Technischen Hochschule Stuttgart. Ähnlich wie beim Film ist auch im Hörspielbereich das Jahr 1933 kein so radikaler Bruch, wie allgemein angenommen. Viele Hörspielautoren waren bis 1940, als nur mehr Klassikeradaptionen gesendet wurden, ungebrochen aktiv. Günter Eich zum Beispiel, der 1933 bis 1940 über 50 Hörspiele schrieb, oder Walter Bauer, Richard Billinger und Peter Huchel, der seine Karriere im Hörfunk überhaupt erst 1935 begann.

Die zweite große Blüte folgte in der Nachkriegszeit als das Medium Radio weitgehend konkurrenzlos war und Borcherts „Draußen vor der Tür“ (NWDR 1947) oder Eichs „Träume“ (NWDR 1951) Kultstatus erlangten. Durchschnittlich entstanden in dieser Zeit 1000 Hörspiele jährlich, davon ca 100 bis 120 (nicht näher definierte) „Ursendungen“. In dieser Zeit wurde das Hörspiel auch erstmals als literarisches Kulturphänomen in den Feuilletons debattiert; 1951 wurde der bis heute renommierte Hörspielpreis der Kriegsblinden ins Leben gerufen. Fast alle bedeutenden Schriftsteller der Zeit beteiligten sich am Genre, und der Weg der Adaptierung war damals häufig ein umgekehrter: Aus Max Frischs Hörpspiel „Rip van Winkle“ wurde der Roman „Stiller“, aus seinem Hörspiel „Herr Biedermann und die Brandstifter“ später ein Theaterstück.

In den 1960er Jahren flaute die Beliebtheit des literarischen, geräuscharmen Hörspiels ab. Das sogenannte „neue Hörspiel“, das die experimentellen Traditionen zumindest partiell wiederentdeckte – mit Namen wie Ernst Jandl / Friederike Mayröcker, Franz Mon, Helmut Heißenbüttel, Wolf Wondratschek – führte zu einem neuen künstlerischen, aber nicht mehr publikumsmäßigen Höhepunkt. Die Hörerverluste gingen wohl nicht nur auf das Konto der Abkehr von gewohnten „einfühlenden“ Hörspielkonzepten, sondern auf das geänderter Medienkonsumgewohnheiten, was in den 1980er Jahren die Debatte um die Einschaltquoten anheizte.

Das abschließende Kapitel über die Entwicklung der letzten beiden Jahrzehnte versucht Tendenzen und Strategien der veschiedenen Sendeanstalten im Umgang mit dem Hörspiel aufzulisten. Anfang der 1990er Jahre die beginnende CD-Produktion; die Mutation des Hörspiels zum gesendeten Hörbuch mit Adaptionen von marktgängigen Sellern (Eco, Gaadener, Tolkien); aber auch verdienstvolle Hörfunkadaptionen vergessener Autoren (Ernst Kreuder, Carl Einstein, Walter Serner); die Inszenierung von Hörevents durch Großproduktionen und Live-Veranstaltungen in den neuen Radiokulturhäusern und das Andocken an den Audiobook-Boom und das Internet.

Schlüsse sind hier wohl noch schwer zu ziehen. „Eigenständige, originär für den Hörfunk geschriebene“ Hörspiele jedenfalls sind selten geworden (S. 138). Formen radiophoner Kunst werden von Avantgardemusikern und Performancekünstlern in kleinen Nischen produziert; was als „Hörspiel“ firmiert ist Teil der multimedialen Vermarktungsmaschine der Verlage, bei der vorgelesene Belletristik mit linearer Erzählweise dominiert (S. 141). Die Produktion hat sich dabei tendenziell von den Sendeanstalten abgelöst.

Auch wenn Hans-Jürgen Krug eine Wertung vermeidet, ist doch eines festzuhalten: Zwar wird in den Sendeanstalten aktuell die Pflege des originalen Hörspiels von Berabeitungen weitgehend verdrängt, doch die soliden Adaptionen von kundigen Hörfunkmachern sind in der Regel an Gediegenheit und Authentizität jenen Produktionen auf dem Audiobookmarkt bei weitem vorzuziehen, die dem Hörer willkürlich adaptierte Textversionen liefern. Mitunter haben diese Hörbücher aufgrund verfälschender und nicht nachvollziehbarer Streichungen (oder gar Ergänzungen) mit dem Originalwerk nur noch wenig gemein, ohne dass sie sich als subjektive Bearbeitungen zu erkennen geben.

Auch wenn man sich gewünscht hätte, dass Krug die Entwicklungslinien etwas systematischer darstellt und etwas analytischer Tendenzen und Perspektiven herausarbeitet, bietet der schmale Band doch einen ersten Versuch der Annäherung. Aus österreichischer Sicht ist zu ergänzen, dass die „Kleine Geschichte des Hörspiels“ eigentlich „Kleine Geschichte des Hörspiels in Deutschland“ heißen müsste. Aichinger, Bachmann, Jandl werden zwar erwähnt, insofern sie von deutschen Sendern produziert wurden, der ORF als Akteur in Sachen Hörspiel kommt aber ebeno wenig vor wie Schweizer Rundfunkanstalten.

Hans-Jürgen Krug Kleine Geschichte des Hörspiels
Sachbuch.
Konstanz: UVK, 2003.
166 S.; brosch.
ISBN 3-89669-424-3.

Rezension vom 13.01.2004

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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