Wendelin Schmidt-Dengler wählt als exemplarische Konstellation von Endzeitstimmung das literarische Fest, das sich im 20. Jahrhundert als eine Geschichte von Katastrophen und Skandalen darstellen läßt mit durchwegs hausgemachten Störfaktoren. Bei Arthur Schnitzler oder Joseph Roth werden die (säkularisierten) Dionysien mit katastrophalem Verlauf zur Chiffre für die untergehende Monarchie. Ausgehend von der These, daß in der Literatur die Jahrhundertwende schon um 1890 stattfand, analysiert Wolfgang Nehring die äußerst komplexe Mischung aus Endtzeitstimmung und Aufbruchswillen in Literatur und Lebensgefühl um 1900. Hans-Jörg Knobloch verortet den zweiten Endzeit-Pol im Pathos der „Menschheitsdämmerung“ des Expressionismus, dessen Beginn gewöhnlich mit dem 1911 publizierten Gedicht „Weltende“ von Jakob van Hoddis datiert wird.
Sind in den Untergangsphantasien der ersten Jahrzehnte des vergangenen Jahrunderts immer zugleich auch die Gegenkräfte Zukunftshoffnung und Aufbruchsstimmung präsent, scheinen sich in der Jahrhundertmitte Endzeitgefühle wesentlich radikaler auszudrücken. Helmut Koopmann analysiert Romane der fünfziger Jahre, vor allem von älteren Autoren, für die sich, bedingt durch Lebensalter und Zeiterfahrung mit Faschismus und Emigration, Endzeitgefühle zu konkreten Vorstellungen vom Untergang des Abendlandes verdichten. Für diese These stehen Romane von Franz Werfel, Hermann Hesse, Heinrich und Thomas Mann, der schon in den „Buddenbrooks“ mit der Geste des Schlußstrichs, den der kleine Hanno unter die Familienchronik zieht, ein einprägsames Bild des Endzeitgefühls gesetzt hatte. Einzelne Untersuchungen widmen sich Hermann Broch (natürlich Paul Michael Lützeler), Elias Canetti (William Collins Donahue, der einzige englischsprachige Beitrag des Bandes), dem Drama der Zwischenkriegszeit (Manfred Misch) und C. G. Jung (Christine Maillard).
Der zweiten Jahrhunderthälfte sind drei Aufsätze gewidmet. Generell gilt auch hier der Befund, daß der Weltuntergang schon einiges vor der Jahrtausendwende vorweggenommen wurde, mit einem Höhepunt an Zukunftslosigkeit in Christa Wolfs Roman „Kassandra“ 1983. Theo Elm beschäftigt sich mit der Entzeitdiskussion in der Gegenwartslyrik, Kurt Bartsch analysiert Michael Scharangs schelmisch-ironischen Endzeitroman „Das Jüngste Gericht des Michelangelo Spatz“ als Versuch, den apokalyptischen (Mode)Ton satirisch zu unterlaufen, und Joachim Barbe untersucht die Zeremonien des Abschieds bei Botho Strauß.
Wenn Thomas Anz in seinem einleitenden Aufsatz demonstriert, daß apokalyptische Phantasien durchaus lustvoll erfahren werden und Vergnügen bereiten können, zeigt der vorliegenden Band, daß das auch für den Diskurs darüber gelten kann. Die Aufsätze sind überwiegend flott und unterhaltsam geschrieben und rücken einiges zurecht an eingefahrenen Bildern über Weltuntergangsbefindlichkeiten um 1900 und 2000.