#Sachbuch

Ödön von Horváth: Ein Fräulein wird verkauft

Klaus Kastberger (Hg.)

// Rezension von Alexandra Millner

Mit der Publikation Ein Fräulein wird verkauft liegt nun der zweite Supplementband zur kommentierten Horváth-Werkausgabe vor. Wie schon im ersten Band („Himmelwärts und andere Prosa aus dem Nachlaß“, 2001) fügt der Herausgeber Klaus Kastberger den Texten ein knappes, hilfreiches Nachwort an. Eine editorische Nachbemerkung informiert über die Entstehungszeit der Texte, diverse Textstufen und die Originaltextvorlagen für die Neu- bzw. Erstedition aus dem Nachlassbestand Ödön von Horváths am Österreichischen Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖLA) in Wien bzw. in der Handschriftensammlung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek.

 

Ein Fräulein wird verkauft versammelt Bühnentexte, die im Buchhandel jahrzehntelang nicht lieferbar oder bisher unveröffentlicht waren. Sie umspannen mit den Jahren 1920 bis 1936 beinahe Horváths gesamte Schaffensperiode. Mit zwei Ausnahmen („Dósa“; „Kaiser Probus in Wien“) sind alle Texte in der Gegenwart des Autors angesiedelt; und in allen, auch in den frühen Texten werden jene Themen verhandelt, die für Horváths Literatur als synonym gelten: Sie üben Kritik an sozialer Ungerechtigkeit, politischer Intoleranz in totalitären Systemen, am Kapitalismus und dem Klassenunterschied. Die verzweifelte Vergnügungssucht, Geldgier und Machtbesessenheit der Menschen werden als Folge der Wirtschaftskrise dargestellt. Horváth thematisiert zudem das Dilemma „gefallener“ Frauen, die Problematik des Mädchenhandels und das ungleiche Verhältnis zwischen den Geschlechtern.

Die zwei Textstufen von „Dósa“ (1923/24), einem historischen Stück, das im Budapest des Jahres 1495 spielt und den revolutionären Bauernführer als Messiasfigur des vom Adel unterdrückten ungarischen Volkes zeigt, unterscheiden sich vor allem durch die Leichtigkeit und Ironie des Tones in der Überarbeitung, die bereits deutlich den späteren Stil vorwegnehmen.

Der Titel des Bandes bezieht sich auf den zentralen Grundtypus des Horváth’schen Figurenensembles, der bereits in den Dramenfragmenten und Volksstückentwürfen aus den Jahren 1930/31 entwickelt wird: das kleinbürgerliche Fräulein, das nicht nur durch Jugend und Schönheit gekennzeichnet ist, sondern in den meisten Fällen auch von Naivität und der Verzweiflung über eine ungewollte, voreheliche Schwangerschaft. Das Fräulein fristet sein anstrengendes Leben als Lehrerin, Sekretärin, Haustochter oder Fabrikarbeiterin und entgeht manchmal nur knapp der Prostitution oder dem Mädchenhandel, nie jedoch dem Spott der Gesellschaft.

Die ökonomischen und sozialen Emanzipationsversuche führen paradoxerweise zu noch größerer Abhängigkeit: Anna, die Sekretärin der „Internationalen Tagung zur internationalen Bekämpfung des internationalen Mädchenhandels“, wird aufgrund ihrer Schwangerschaft entlassen („Die Mädchenhändler“, 1929 oder 1930). In „Die Lehrerin von Regensburg“ (1930) greift Horváth die realen Vorfälle um die historische Person Elly Maldaque auf, die er zur Figur Ella verarbeitet, einer kommunistischen Lehrerin, die wegen ihrer Gesinnung erst verraten und aus ihrer Stellung entlassen, schließlich in die Irrenanstalt eingewiesen wird. Das Exposé des Volksstückes „Elisabeth, die Schönheit von Thüringen“ (1930/31) zeichnet die sich in totale Abhängigkeit steigernde gesellschaftliche Unterdrückung einer gefallenen jungen Frau nach. Der misslungene Selbstmordversuch einer jungen, allein stehenden Mutter steht im Zentrum des Bühnentextes „Ein Fräulein wird verkauft“ (1930/31), an dem die Kategorien der „Zweckschönheit“ und des „Verbrechens als Bedürfnisfrage“ entwickelt werden. In dem als Volksstück bezeichneten Dramenfragment „Schönheit aus der Schellingstraße“ (1931), das als direkte Vorstufe zu den „Geschichten aus dem Wiener Wald“ gilt, ist die Braut Agnes unschwer als Vorläuferin von Marianne zu erkennen.

Zum fixen Personal, das in mehreren Dramenentwürfen auftaucht, gehören auch drei männliche Gegenspieler: Während der Vater – als von Besitzgier geprägter Patriarch und Machtmensch – und der Hallodri, Frauenheld und Mädchenhändler Alfred/Fredy bereits auf die „Geschichten aus dem Wiener Wald“ voraus weisen, gibt es hier auch noch einen idealistischen Journalisten bzw. Schriftsteller namens Schminke, der den Dialog durch seinen Widerspruchsgeist antreibt. Sein radikaler Sozialismus, das Leiden an den „gesellschaftlichen Umschichtungen“ und die solidarische Grundhaltung, die ihn vor allem immer gegen die Geschlechterhierarchie antreten lässt, rücken ihn zusätzlich zu seiner Profession auch charakterlich in die Nähe seines Schöpfers, von Horváth selbst.

In dem mit „Späte Possen“ übertitelten letzten Abschnitt des Bandes gibt es einen weitgehend unbekannten Horváth abseits der berühmten Volksstücke zu entdecken, dessen Entwürfe von skurril-abenteuerlichen Possen und Zaubermärchen bis hin zu der großen Ausstattungsrevue „Magazin des Glücks“ reichen. Die Textentwürfe aus dieser Phase sind von großer Leichtigkeit und ironischem Duktus. Sie fokussieren noch expliziter auf allgemein politische Inhalte, handeln vom Konflikt zwischen Idealismus und Kapitalismus, von der Ausbeutung des kleinen Mannes zum Wohle des Vaterlandes, von der künstlichen Herbeiführung von Kriegen aus ökonomischen Gründen und der Anfälligkeit der Menschen für verrückte Ideen in Zeiten wirtschaftlicher Not sowie ihrer Neigung zum Eskapismus.

Aktuell mutet nicht nur der Inhalt des Gesellschaftsstückes „Ein königlicher Kaufmann“ (1931) an, in dem das Patent eines Krebs heilenden Mittels von einem Pharmaindustriellen verhindert wird. Auch in dem Original-Zaubermärchen „Johann, der Soldat“ (1932) werden Themen angesprochen, die nichts von ihrer Gültigkeit und Virulenz verloren haben: Um die Absurdität von Militär, Aufrüstung und Krieg unter Beweis zu stellen, lässt Horváth einen Soldaten aus nichtigem Anlass exemplarisch bestrafen, während um einer Waffe willen ein Krieg provoziert wird. Skurril wirkt hingegen die in Anschluss an „Kasimir und Karoline“ (1931) verfasste Zauberposse „Himmelwärts“ (1931), in der der Astronaut Kasimir mit seiner Rakete zufällig in Arkadien landet und dort dem idealen Kollektiv einer klassen- und rassenlosen menschlichen Gemeinschaft begegnet, die nur der Geistigkeit lebt. Besondere Erwähnung verdient die im Auftrag von Max Reinhardt gemeinsam mit R. A. Stemmle (Dialog) und Friedrich Holländer (Musik) geplante Ausstattungsrevue „Magazin des Glücks“ (Ende 1932), die den Aufstieg des kleinen Mannes bzw. der kleinen Frau ebenso feiert wie das kleine Glück durch die Erfindung einer Illusionsfabrik, in der die ganze Welt virtuell bereist werden kann. Die große Glücksverheißung dieser Welt im Kleinen ist die Befreiung aus einem bedrückenden Alltag durch die Befähigung zur Liebe über die gesellschaftlichen Schranken hinweg – nichts, was nicht in jedem Individuum angelegt wäre. Der dramatische Bogen bleibt durch die Unschlüssigkeit eines Geldmenschen gespannt, der sich zwischen der Finanzierung des Etablissements oder eines Krieges entscheiden muss. Der Krieg als das bessere Geschäft und die Pfändung des Paradieses (auf Erden) werden einander gegenüber gestellt. Hier ist der Vergleich der Entwürfe besonders aufschlussreich, zeigt er doch die Möglichkeit von Bedeutungsveränderung durch inhaltliche Akzentsetzungen auf.

Das Zeitstück „Ohne Titel“ (Ende 1932) parodiert nicht nur das „Vorspiel auf dem Theater“ in Goethes „Faust“, sondern auch die vermeintlich politische, doch vielmehr opportunistisch-karrieristische Einstellung der Dramatiker. Die Operette „Kaiser Probus in Wien“ (1936) wird dem geplanten Dramenprojekt „Komödie des Menschen“ zugezählt. Es ist eine äußerst ironische Adaptierung eines historischen Stoffes, die den „Erfinder der Pause“ ebenso ehrt, wie er Xenophobie als Grundhaltung des Menschen karikiert. „Der Lenz ist da. Ein Frühlingserwachen unserer Zeit“ (1937) behandelt schließlich den Stoff des Romans „Jugend ohne Gott“ in abgewandelter Form und aus der Sicht der Jugendlichen. „Ein Fräulein wird verkauft“ umfasst Textstufen bisher kaum bekannter Fragmente, Skizzen und Exposés eines der bekanntesten Dramatikers im deutschsprachigen Raum. Der Band bedient alle, die einen neuen Ödön von Horváth entdecken und seinen stilistischen und inhaltlichen Entwicklungen auf die Spur kommen wollen. Horváth zeigt sich hier als geschickter Monteur, der seine Texte mehrfach überarbeitet und sich auf Fiktives – aktuelle Alltagsmythen, Filmstoffe, Klassiker der Weltliteratur – bezieht, doch immer gegen die realen gesellschaftlichen Unterdrückungsmechanismen anschreibt.

Klaus Kastberger (Hg.) Ödön von Horváth
und andere Stücke aus dem Nachlaß.
Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2005.
237 S.; brosch.
ISBN 3-518-45698-9.

Rezension vom 20.02.2006

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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