Die launige Einleitung bestreitet Ulrich Schulenburg, der aus der Sicht des Verlegers (Thomas Sessler-Verlag) die Horváth-Rezeption in Europa nach 1945 beleuchtet, so manche unterhaltsame Anekdote aus Horváths Bekanntenkreis zum Besten gibt und über das „mystische Umfeld“ des abergläubischen Schriftstellers zu berichten weiß. In Sachen Werkinterpretationen sieht sich Schulenburg, dessen Verlag die Bühnenrechte vergibt, im übrigen als gestrenger Anwalt des Werkes, äußert sich abfällig über das Phänomen „Regietheater“ und droht damit, „jegliche Veränderung des Textes mit der entsprechenden Vorgangsweise“ zu verfolgen (S. 23).
Deutlich wissenschaftlicher wird es in den anderen Beiträgen des Bandes. So geht Klaus Kastberger vom Österreichischen Literaturarchiv auf die Nachlaßsituation ein: Horváths literarisches Erbe landete nach wenig rühmlicher Behandlung durch die Berliner Akademie der Künste Anfang der 90er Jahre in der Österreichischen Nationalbibliothek. Den bisherigen Editionen des Horváthschen Werkes, die vornehmlich von Traugott Krischke betreut wurden und bei Suhrkamp erschienen sind, stellt der Literaturwissenschaftler kein gutes Zeugnis aus: „Die Herausgeber verfügten nicht über die editionstechnischen Möglichkeiten und die philologische Sorgfalt, um ihre Ziele in befriedigender Weise umzusetzen […]. So wurde oft mit inadäquaten Mitteln versucht, neben den Letztfassungen auch das genetische Material des hochkomplexen Horváthschen Arbeitsprozesses zu präsentieren.“ (S.31). Stellvertretend für viele Ungereimtheiten in der Forschung weist Kastberger anhand eines Blattes aus dem Nachlaß auf „Widersprüchlichkeiten der Horváthschen Biographie“ hin (S.28) und fordert eine „textkritische Bewertung der autobiographischen Quellen“.
Breitgefächert sind die Themen der nachfolgenden Beiträge: Krieg und Kriegsfolgen im Werk Horváths, die Alltagsmärchen, Märchen- und Zeitmotiv bei Horváth und Döblin, das Don Juan-Motiv, die Rezeption in Slowenien und Kroatien usw. Besonders lesenswert ist Cornelia Krauss‘ Aufsatz zum Thema Heimat im Leben und Werk des Schriftstellers, der Zeit seines Lebens die Wohnsitze oft genug – und nicht immer freiwillig – wechselte und sich in einem Brief an seinen Freund Franz Theodor Csokor so resignativ wie optimistisch äußerte: „Es ist gleichgültig, ob wir den Sieg oder auch nur die Beachtung unserer Arbeit erfahren, es ist völlig gleichgültig, solange unsere Arbeit der Wahrheit und Gerechtigkeit geweiht bleibt. Solange gehen wir auch nicht unter, solange werden wir immer Freunde haben und immer eine Heimat, überall eine Heimat, denn wir tragen sie mit uns – unsere Heimat ist der Geist.“
Abgeschlossen wird der Band mit einem interessanten zweiseitigen Bericht Ulrich Schulenburgs über die Überführung des Leichnams des Schriftstellers von Paris nach Wien, dem es an Symbolkraft nicht mangelt: Als der Sarg am Flughafen Wien ankam, stürzen sich zwei Angestellte der Wiener Städtischen Bestattung auf ihn und umhüllen ihn mit einem „viel zu großen Staatswappen“. Ein dritter läßt mittels Tonband die Bundeshymne erklingen und äußert sich darüber enttäuscht, daß im Unterschied zur Überführung Franz Werfels kein Spektakel mit Prominenz veranstaltet werde. So ein Pech auch.