#Sachbuch

Pagat Ultimo

Emil Breisach (Hg.)

// Rezension von Dieter Bandhauer

Ein wenig erweckt dieses Buchprojekt den Eindruck, es wäre etwas zwanghaft entstanden. Man könnte sich das so vorstellen: Das Thema ist vorgegeben; das repräsentative Buchformat von 350 Seiten gilt es zu füllen. Ein großzügiges Layout hilft, dem Text viel freien Platz zu lassen. Zum Land passt natürlich etwas Grün recht gut, also Zweifarbendruck, die Finanzierung scheint nicht das Problem.

Ein Anhang entsteht, der die wichtigsten kulturellen Ereignisse zwischen 1945 und 2003 auflistet. Um dem Charme eines Telefonbuchs zu entgehen, wird die Chronik der Ereignisse mit einer Fülle von Adjektiven versehen, die nicht gerade einer strengen Objektivität verpflichtet sind: „Fulminante Lesung“, „Schwungvolle Eröffnung“, „Starke Premiere“, „Einzigartiges Gastspiel“, „Furios“, „Grandios“. In der Steiermark scheint sich einiges abgespielt zu haben in den letzten 58 Jahren. 270 Seiten umfasst dieser Anhang, der gewissermaßen das Ganze ist – wären da nicht noch ein paar stichhaltige Trümpfe in der Hinterhand der Verantwortlichen:

„Ich halte nämlich Geschichtsschreibung für einen fast unzulässigen Willkürakt. Sie besteht in der Hauptsache in einer Klitterung von Mutmaßungen über die Vergangenheit, stellt nach Belieben und jeweiligen Zeitgeschmack Zusammenhänge her, die eigentlich gar keine sind, und hat letztlich die Stichhaltigkeit einer Wettervorhersage“, verkündet Peter Vujica (S. XXXV) Das öffnet der Beliebigkeit Tür und Tor, da gilt uneingeschränkt: Alles ist möglich!

Trotzdem will das ganze irgendwie in den Griff bekommen werden, es braucht eine Struktur, das Thema selbst aber gibt keine „logisch“ vor und da half ein genialer Einfall: „Denn ein Spiel, welches auch immer, ist unschuldig. Es heuchelt nicht Kausalität.“ (ebda) Ein Kartenspiel ist zudem ein perfektes Accessoire für ein Buch, es bleibt mit Papier respektive Karton und Druck im „selben“ Medium. Die wichtigsten Akteure der zu erzählenden Geschichte lassen sich auf Spielkarten hervorragend abbilden. Geschichtsschreibung ist zwar ein Willkürakt, wie uns mitgeteilt wurde, aber die Willkür wird von Menschen gemacht. Das Kartenspiel auch. Aber was soll gespielt bzw. welche Karten sollen hergestellt werden? Schnapsen? Zu primitiv und bietet mit 20 Karten viel zu wenig Projektionsfläche. Poker mit 52 Karten? Vielleicht zu zynisch. Warum also nicht Tarot? 76 Karten wären ideal, damit lässt sich nicht bloß die Vergangenheit einfangen, sondern auch gleich die Zukunft voraussagen. Aber vielleicht wird das doch etwas zu teuer, also Tarock mit 54 Karten. Und: „Das Tarockspiel ist keinesfalls […] eine volkstümliche Form des Tarot. Vielmehr hat sich letzteres aus dem Tarockspiel entwickelt.“ Was aber „im vorliegenden Fall vollkommen egal ist. […] Hauptsache es wurde ein Spiel.“ (ebda.) Richtig überzeugen kann dieser Ansatz nicht.

Außerdem stellt sich die Frage, wieso das Buch in einer „adretten Holzkiste“ liegt, dort, „wo eine jede und ein jeder zu liegen kommen wird, wenn es mit ihr/ihm zu Ende geht“? (S. XXXIII) Nein, das wäre doch zu pessimistisch, so groß ist die Kiste auch gar nicht, aber größer als unser Buch allemal, da hätten gut fünf Bouteillen Platz. Normale Spielkarten sind deutlich kleiner als Ansichtskarten und größer als Scheckkarten. Warum aber lassen die Herausgeber sie anwachsen und anwachsen … bis sie ein A3-Format angenommen haben? Was um Himmels willen soll mit diesem Kartenset für Zyklopen geschehen?

Wäre Polyphem mit diesem Gastgeschenk von Odysseus zu besänftigen gewesen? Künstler, Politiker und Funktionäre als Sujet von Spielkarten hätten den Sohn Poseidons wohl vollends in Rage versetzt. (Und Leopold Bloom wäre von den Zechbrüdern mit dem „Schwung einer Schaufel“ aus Barney Kiernans Kneipe hinausbefördert worden, bevor er Platz nehmen hätte können.)

Man kennt (von Politiker-Schnapskarten als Illustrierten-Beigabe) das Ratespiel, das den Spielkarten als Spiel im Spiel „hinzugefügt“ wird: Welchem Promi ist welche Farbe und welcher Kartenwert zugeordnet? Wer ist der König, wer bloß der Bube? Beim Tarock kommen neben denn 32 Farb- noch 22 Tarockkarten hinzu. Das ergibt eine hübsche Hierarchie von 1 (Pagat) bis 22 (Sküs). Da „selbst der beste Historiker überfordert sein wird, die Wertigkeiten im Rollenspiel zu klassifizieren“ (Emil Breisach, S. VIII) und auf Kausalität ja explizit verzichtet wird, kann dem Herausgeber des Buches (der aber nicht für das Kartenset verantwortlich ist) gleich der Sküs, die „höchste Stichkarte“, „zugedacht“ werden. Was diesen „ehrt“, aber „zugleich einige Peinlichkeit“ beschert. Gewissen Menschen bleibt offensichtlich nichts erspart.

Das Ratespiel – wer wurde als Kartensujet vergessen, wer wurde absichtlich nicht berücksichtigt oder gar nachträglich hinausgeworfen, welchen „zu Tarockkarten erstarrten Gestalten“ (Vujica, S. XLV) wurde welcher Wert zugedacht? – wollen wir lieber nicht fortsetzen. Denn wie sagt Kartengeber Vujica so schön: „Die Akteure der Vergangenheit können sich gegen die Gewalt, die ihnen angetan wird, nicht mehr zur Wehr setzen.“ (S. XLV)

Warum aber heißen Buch, das etwas zu groß geratene Kartenset und Holzkiste „Pagat Ultimo“? Der Herausgeber kennt sich aus: „Wer ihn ansagt, weiß, dass er mit dieser so verletzlichen Karte den letzten Stich machen muss.“ (Breisach, S. VIII) Wird diese Karte aber von den Gegnern „gefangen“, ist dem Spieler der „nachfolgende Spott“ gewiss. Allerdings, wird der Pagat vom eigenen Mitspieler abgestochen, sollte man sich bei einer seriösen Tarockrunde besser nicht mehr blicken lassen. Ein Albtraum für jeden Tarockspieler.

Emil Breisach (Hg.) Pagat Ultimo. Das Spiel um die Steirische Moderne.
Verf.: Schäffer, Eva; Vujica, Peter; Kada, Alexander.
Graz, Wien: Styria, 2005.
315 Seiten, broschiert, mit Abbildungen, mit Beilagen (54 Spielkarten), im Holzschuber.
ISBN 3-222-13154-6.

Rezension vom 14.04.2005

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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