Es gibt zahlreiche Konzepte zur österreichischen Identität; sie alle beziehen sich in zentralen Punkten auf das Verhältnis zu Deutschland und in vielen – und zwar keineswegs nur in den dem Deutschnationalismus zurechenbaren – wird Deutschland eine Art Überlegenheit attestiert. Die – im Vergleich zur französischen ohnedies segmenthafte – deutschsprachige Aufklärung etwa wurde jahrzehntelang für ein exklusiv norddeutsches Phänomen gehalten. Mit seiner 1977 erstmals auf Deutsch erschienenen Monographie über die Prosa der österreichischen Aufklärung zwischen 1781 und 1795, „Tauwetter in Wien“, hat Bodi einen haltbaren Gegenbeweis angetreten: inhaltlich gibt es zahlreiche Parallelen zwischen der „Wiener“ und der „Deutschen“ Aufklärung, doch spielen in deren gesellschaftskritischen Projekten Satire, Ironie, Wortwitz und Wortspiel eine bedeutendere Rolle. Bodi hat damit ein neues Konzept einer positiven, vom Josephinismus abgeleiteten österreichischen Identität entwickelt – fern vom „Habsburg-Mythos“, der Friedrich Heerschen „Zerrissenheit der Bewusstseinsfraktionen“, oder von der Erotomanie, der Weltuntergangsstimmung und den Identitätskrisen des Wien der letzten Jahrhundertwende, jener „Fröhlichen Apokalypse“, die zwei Jahrzehnte lang so viele Forscher beeindruckte. Bei Bodi ist es weniger das traumatische Erlebnis der Gegenreformation, das Heer zufolge die positive Selbstidentifikation der Österreicher erschwerte, sondern andere, viel weniger „schicksalshafte“ Faktoren wie etwa die Doppelfunktion der Habsburger als Heilig-Römische Kaiser und absolutistische Landesfürsten ihrer dynastischen Besitzungen.
Die Fähigkeit zu einer komischen, manchmal überzogenen Selbstkritik macht für Bodi das zentrale Kernstück einer österreichischen Literatur aus, in der Figuren wie Nestroy, Kraus und Qualtinger exemplarischen Charakter haben. Auch der „Übertreibungskünstler“ Thomas Bernhard gehört in diese Reihe und Bodi liest dessen „Auslöschung“ als einen massiven Selbstdefinitions- und Identifikationsversuch Bernhards, der ja im übrigen an einer prominenten Stelle seines Ohlsdorfer Hauses ein Bild Josephs II. hängen hatte. Es hat – so Bodi – repräsentativen Charakter, wenn Bernhards Protagonist Murau zwar die ererbte Besitzung Wolfsegg und seine Familie einer „auslöschenden“ Kritik unterzieht, dabei aber gleichzeitig festhält, dass der Schwager, ein bundesrepublikanischer „Weinflaschenstöpselfabrikant“ und damit eine der von Walter Weiss als „Sendboten aus dem Reich“ apostrophierten, in der österreichischen Literatur häufigen Figuren, eben nicht nach Wolfsegg passt.
Bodi hat mit dem von ihm entwickelten Ansatz zur Entschlüsselung der österreichischen Identität in zahlreichen Debatten erfolgreich interveniert: er hat in der Erdmann – Debatte über die Eigenständigkeit der österreichischen Literatur eine grundsätzliche Position eingenommen, die Entwicklung des österreichischen Deutsches in einer präzisen Skizze nachvollzogen, die beispielsweise Sonnenfels als Leitfigur einer genuin österreichischen Sprachentwicklung vorführt, die Problematik der österreichischen Nachkriegsliteratur im Kontext von „Sieger“ und „Besiegtem“ analysiert und sich kluge Gedanken über Österreichs Rolle in der Welt gemacht. Bodi hat dabei immer Verständnis für die österreichische Selbstkritik gezeigt und ihr keineswegs die Berechtigung abgesprochen, gleichzeitig aber bewiesen, dass ihr häufig ein Missverhältnis zwischen den objektiven Faktoren und ihrer Betrachtungsweise durch die österreichische Intelligenz zugrunde liegt.
Österreich seit dem Josephinismus ist ein Thema Bodis, doch keineswegs sein einziges – der vorliegende, von Herbert Arlt und Donald G. Daviau betreute bio- und bibliographisch ausgezeichnet dokumentierte Sammelband stellt auch Bodis Überlegungen zum Australienbild in der deutschen Literatur, zu Heinrich Heine und zu Fragen der deutschen Identität vor. In seiner Gesamtheit bietet er ein schönes Gesamtbild des Denkens eines Wissenschafters, demgegenüber Österreich eine große Dankesschuld hat.