500 Arbeitsplätze bietet die MAG, ein Großteil der Bevölkerung von Meng ist von ihr abhängig. Und immer wieder geht die Angst vor dem Zusperren um. Dann und wann kommen die „Herren aus der Schweiz“ und zeigen den Mengern, wer „die Herren“ sind. Da werden dann aus den Dachluken die Schweizer Fahnen gehißt, Fenster mit Blumen geschmückt, die Werksmusik spielt auf und die Einheimischen beobachten das Szenario ängstlich-skeptisch.
„Die Schweizer taten doch immer so, als sei die Menger Aluminiumfabrik für die in ihr arbeitenden Menschen eine Art Vergnügungspark, den sie ihnen einzig und allein aus wohltätigen Überlegungen heraus errichtet hätten und zu dessen Erhaltung sie nur dank einer permanenten moralischen Höchstleistung fähig seien.“
Einer dieser „Wohltäter“ ist Dr. Timm, der Geschäftsführer der MAG. Bereits mit seiner Antrittsrede hat er mit großen Worten die Belegschaft beeindruckt. Von partnerschaftlicher Führung war da die Rede, vom Menschen, der im Mittelpunkt des Unternehmen steht und von unkonventionellen Entscheidungen. Ein glühender Timm-Verehrer ist Hans Helger, ehrgeiziger Einkaufsleiter der Fabrik, der über die Maßen mit seinem Job identifiziert ist: „Mein Gott,“ – meint Helger einmal – „wer war er bloß, daß er all das tun durfte und dafür auch noch bezahlt wurde?“
Helger ist es auch, aus dessen Perspektive die ganze Geschichte erzählt wird. Thema Nummer 1: Werner Turger, dessen Familie vom scheinheilig-frustrierten Personalabteilungsleiter Berger die Werkswohnung verweigert wird, weil er in sogenannter „wilder“ Ehe lebt. Um den zähen Machtkampf zwischen Turger und Berger, gruppiert sich eine Vielzahl von bizarren Szenen zwischen Jausenholen und Intrigen, Konkurrenzkämfen und Rachestrategien, Erfolgen und Niederlagen. Und manchmal gibt’s auch kurze Ausflüge in das im Großen und Ganzen trostlose Privatleben der Haupt- und Nebendarsteller. Minutiös werden da Mienen und Gesten beschrieben, Blicke und Haltungen, Bosheiten und Schikanen, werden – nicht ohne Komik – merkwürdige Rituale ausgebreitet, bis eine Unterschriften auf einem Bestell-Formular platziert ist, kann das schon mal über zwei Seiten ausgedehnt werden.
Insgesamt wird eines klar: Die Provinz gebiert Monstren. – Da ist Rechnungswesenchef Koss, der ohne obszöne Anspielungen und Witze nicht auskommt, Karl Erner, der seinen Vorgesetzten immer wieder unfreiwillig bei Konzertbesuchen vertreten muß, der Lagerverwalter Scherminger, der sich ungerecht behandelt fühlt, der schrullige Buchhalter Hans Proch. Durch sie bekommen wir nach und nach Einblick in die diversen Abteilungen der Menger Aluminiumfabrik: vom technischen Büro, über Buchhaltung, EDV-Abteilung usw. bis eben in den „Einkauf“, wo Helmer seines Amtes waltet.
Der rechtzeitige Ankauf von Heizstrahlern, die Verhandlungen über die neuen LKWs, die Willkür bei der Lehrlingszuteilung, der kurzfristig angesetzte und deshalb verdächtige Betriebsausflug, die schlechte Kantinenküche – all das läßt immer wieder die Tage aus den Fugen geraten. Kurz gesagt: Das Gesamtleben des Protagonisten und seiner Kollegen dreht sich um die MAG. Daß Kuriositäten und Monstositäten da nicht mehr als solche wahrgenommen werden, versteht sich geradezu von selbst.
Da stellt sich zum Beispiel heraus, daß das Karbidlager bereits überquillt, weil vor 11 Jahren die letzte Karbidlampe ausgesondert und dennoch regelmäßig weiter bestellt wurde. Die Erklärung ist einfach: Der Breich – wie der Zuständige heißt – schreibt nämlich Monat für Monat die Materialanforderungen seines Vorgängers ab, und der ist schon vor 15 Jahren in Pension gegangen. Dennoch schauen alle zu, wie weiter fröhlich Karbid bestellt wird. Denn schließlich könnte es der Vorgesetzte als Angriff auf seine Person verstehen, wenn der Breich solchen Unsinn treibt.
Durch das Vergrößerungsglas betrachtet O. P. Zier die sozialen Strukturen, die Hierarchien und menschlichen Eigenheiten. Der Realität mit den Mitteln der Fiktion und vor allem der Übertreibung beizukommen, das ist eines seiner literarischen Verfahren. Selbst in der Salzburger Provinz, in Lend, aufgewachsen, hat der Autor dort in einer Aluminiumfabrik gearbeitet. Heute lebt er in St. Johann im Pongau. Realität und Klischee, Dichtung und Wahrheit, Erfundenes und Gefundenes gehen in der Literatur von O. P. Zier eine enge Verbindung ein. Es ist die Mischung von Fiktion und realistisch-satirischem Abbild, der kritische Blick für die großen Wörter, für persönliche und strukturelle Machtverhältnisse, die den Roman Sturmfrei auszeichnen – und daß bei der geballten Ladung von Eitelkeit und Willkür, Feigheit und Korruption, Skrupellosigkeit und Lächerlichkeit, die da im Menger Aluminiumwerk in Erscheinung tritt und im Buch auf über 550 Seiten ausgebreitet wird, daß sich da Lesevergnügen einstellt, das ist das Verdienst der ausgefeilten Erzähltechnik von O. P. Zier.