#Lyrik

Weil man lieber nicht am Ende sterbert

Haimo Wisser

// Rezension von Petra Nachbaur

Der vielseitige Komponist, Autor und Interpret Haimo Wisser (1952-1998) war eine wichtige Persönlichkeit der Tiroler Kunst- und Kulturszene. Der Musiker Wisser arbeitete regelmäßig als Komponist für die Volksschauspiele Telfs, die wichtigste Veranstaltung eines alternativen Volkstheaters, bei der viele Stücke von Felix Mitterer uraufgeführt worden sind; Wisser hat aber ebenso mit der jungen, inzwischen international etablierten Tiroler Musikgruppe „Die Knödel“ zusammengearbeitet. Auch als Liedermacher, Kabarettist und durch seine Kooperation mit so unterschiedlichen Literaten wie Raoul Schrott oder Anita Pichler hat er sich einen Namen gemacht. 1997 ist ein erster und einziger Gedichtband erschienen, in dem Wisser seine kritische, engagierte Haltung zu gesellschaftspolitischen Fragen in komprimierter Form zum Ausdruck bringt und seine Musikalität in lyrisches Muskelgewebe transformiert.

Die Gedichte Wissers beziehen sich stark auf Tiroler Verhältnisse; dazu gehört auch der ironische Rückgriff auf das omnipräsente katholische Repertoire. Ähnlich wie sein Kollege Heinz D. Heisl in seinen Psalmen wählt Wisser für den ersten und dritten Teil seines Gedichtbandes das Gebet als Form oder Inhalt. Der zweite Teil, „unsere bedürfnisse“ betitelt, ist ebenfalls im Bereich der Wünsche, der Hoffnungen, aber auch der (falschen) Versprechungen angesiedelt; die banale Gesprächsüberleitungsfloskel „ganz was anderes“ gibt dem scheinbar programmatisch alternativen letzten Teil und der Vision auf einen Ausblick ein von vornherein alltägliches Gesicht.

Die „europa gebete“ beginnen mit einem Akrostichon: 5 Strophen benennen in werbend propagandistischer Parolen-Diktion Gemeinplätze und Floskeln der Befürworter von Wirtschafts- und Militärbündnissen. Die Anfangsbuchstaben einer jeden Strophe senkrecht gelesen, ergeben jedoch genau das Gegenteil der im Text behaupteten Vorzüge und damit einen subversiven Subtext. Der Haupttext, der sich steigert von „gemeinsam / ernsthaft in / liebe / dienen“ bis zum flehenden „bitte / lass / österreich / dazugehören“ nimmt Anbiederung und Ausverkauf von Autonomie aufs Korn. Die „kleine sittenlehre“ ein paar Texte weiter zieht klischeehaftes und unreflektiertes Moralisieren und Polarisieren ins Lächerliche, indem „aus Reimgründen“ Wortendungen verballhornt werden. Der neckische Charakter dieses Textes wird besonders im mündlichen Vortrag deutlich, wie er in Haimo Wissers Lesung bei den „18. Innsbrucker Wochenendgesprächen“ zum Thema „Sprache und Musik“ auf der neu erschienenen CD Innsbrucker Wochenendgespräche. 20 Jahre Reden über das Schreiben dokumentiert ist.

„unsere bedürfnisse“, in denen ideelle („sicherheit“, „geborgenheit“, „kraft“) mit materiellen Werten („ertrag“, „vermögen“) kombiniert und kontrastiert werden, treten sprachlich bisweilen eher polternd, eher spontan notiert als ausgefeilt und durchdacht auf. Nur selten aufgelockerte vertikale Einwortreihen von Wortzusammensetzungen steuern auf teilweise gesucht wirkende Pointen zu. Auffallend ist das Gedicht „wert“ (S. 25), in dem „grenzwert“, „vollwert“ und co. in das schon optisch durch die Trennung herausstechende, programmatische „vergangen hart / gegen wort / zu kunst“ münden. Besonders hervorzuheben ist der letzte Text dieses Abschnitts, „innere ruhe“ (S. 30): die strenge Vertikale wird hier zusätzlich betont durch konsequente Anaphern. Vier Buchtitel mit „zen“ als Aufhänger gehen über in spielerische, klangliche Assoziationen wie „zen und zennerin“ – das Gedicht endet wie zu guter Letzt alles mit dem „zen zen mann“, was der „innere[n] ruhe“ aus dem Titel eine andere, schwerere Bedeutung verleiht.

„allfällige gebete“ ist am klarsten durchkomponiert. Die 26 Gedichte sind locker angelehnt an die Verfahrensweise der Riccabonaschen „Abcdarien“ (vgl. etwa den „VERSuch einER ALPHABETARISCHEN lyRIKstrukturalisatION in ANAL-alphabetISMEN“). Wisser verwendet Aufreihungen, die er wie im Dominospiel anzuordnen sucht oder aber in Kaskaden von Begriffen kippen läßt – ist der Ausgangsgedanke angestoßen, löst er die fallende Stiege eines ihm eigenen Codes von Wörtern aus, bis so manche Begriffsstütze bricht.

Klang- und geräuschvolle Silbenzerstückelungen finden sich in „ganz was anderes“. Wortspiele und Verfremdungseffekte lassen den Band scheinbar munter ausklingen, wenn etwa in „noch ein auszählreim“ (S. 62f.) „zehn kleine jederlein“ sich in altbewährter Weise auf Null reduzieren. Doch gibt es auch inmitten all des Klangspaßes Ernstes, wenn etwa im besonders dichten Text „y“ (S. 56) die Geschlechterdifferenz im nur mündlich nachvollziehbaren „em en end e wum en“ (witzigerweise am Platz für „m“=“em“ und „n“=“en“) staccatoartig in Laute gefaßt wird und nur „ypsilonliness / zu zweit“ als paradoxes Fazit bleibt. Recht subtil wird der Titel „ganz was anderes“ ironisiert, wenn sich sowohl „noch ein auszählreim“ (S. 62f.) als auch „noch eine sittenlehre“ (S. 74f.) auf Titel und Texte aus dem ersten Abschnitt des Bandes beziehen.

„weil man lieber nicht am ende sterbert“ ist die letzte Zeile des Bandes, die ihm gleichzeitig den Titel leiht. In fast allen Nachrufen auf Wisser ist diese Zeile zitiert worden, in ihrer stolpernden Formulierung so einprägsam wie Jarrys berühmtes „Merdre“ zu Beginn des „Ubu Roi“, gleichzeitig so vielschichtig in ihrer Bedeutung: „Am Ende“ im temporalen Wortsinn, „zuletzt“ also, was heißen oder andeuten könnte, es sei vorzuziehen, schon unterwegs, „vor“ dem Ende zu „sterbern“; „am Ende“ aber auch in der umgangssprachlichen Bedeutung vom die Antwort „nein“ (heraus)fordernden „gar etwa“, was das trotzige und chancenlose Aufbegehren gegen den Tod impliziert. Daß es auch „sterbert“ heißen muß, weil es der Reim auf „herbert“ verlangt, der wiederum im schaukelnden Nonsens-Wechselspiel von „herbert fraubert herbert fraubert“ holpernd eingesteht: „leichter wärs wenn man gott anglaubert“, gibt der Zeile eine makabre Leichtigkeit in der schmerzhaften Erkenntnis, einen spielerischen Zynismus, der (auch) in Erinnerung bleiben sollte, wenn man des toten Haimo Wisser gedenkt.

Weil man lieber nicht am Ende sterbert.
Gedichte.
Innsbruck: Edition Löwenzahn, 1997.
80 Seiten, broschiert.
ISBN 3-7066-2145-2.

Rezension vom 06.05.1998

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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