Carl Merz hat die Figur erschaffen, Helmut Qualtinger hat sie kongenial interpretiert und weiterentwickelt. Jedem, der die Fernsehfassung kennt, ist Herrn Karls teigiges, glänzend poliertes Vollmondgesicht unvergessen, der treuherzige Blick des gewieften Egomanen, der die unsäglichsten Tiraden begleitet. Herr Karl schlüpft unter jede Decke, mag sie noch so schmutzig-braun sein.
„Später bin i demonstrieren ‚gangen für de Schwarzen … für die Hahnenschwanzler … für de Heimwehr … net? Hab i fünf Schilling kriegt … Dann bin i umi zum … zu de Nazi … zu de damaligen Nazi … da hab i aa fünf Schilling kriegt … naja, Österreich war immer unpolitisch … i maan, mir san ja keine politischen Menschen … aber das Geld is z’sammkommen, net?“ (S. 12f.)
Mit Georg Kreisler, Gerhard Bronner, Peter Wehle, Carl Merz, Helmut Qualtinger, um nur einige zu nennen, erlebt das politische Kabarett Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre eine Glanzzeit. Sein tiefschwarzer Humor schlägt empfindliche Breschen ins Nachkriegsvergessen und in die Nierentischbequemlichkeit der jungen Republik. Ilse Walter hat für Best of Qualtinger einen Querschnitt seiner Satiren ausgewählt – Bekanntes und Unbekanntes, Frühes und Spätes gelungen gemischt.
Als unverwüstlich erweisen sich die drei Travnicek-Szenen aus dem Kabarettprogramm „Spiegel vorm Gesicht“ (entstanden in Zusammenarbeit mit Carl Merz), vor allem wenn Helmut Qualtinger als dummschlauer Chauvinist in „Travnicek im Urlaub“ jederzeit die herrlichsten Plätze dieser Erde gegen ein Krügel und ein Gulasch in seinem Stammbeisl eintauschen würde; ein Klassiker auch der Dialog der beiden Provinzschauspieler, die ihre Chargenrollen in den Hinterhofbühnen von Dux-Brüx-Komotau, Bielitz und Bunzlau diskutieren …
„ZWEITER MIME: Morgen habe ich einen Funk … Kinderstunde … ‚Schneewittchen‘ … Ich spiele einen Zwerg …
ERSTER MIME: Welchen?
ZWEITER MIME: Den vierten …
ERSTER MIME: Wie legst du ihn an?
ZWEITER MIME: Hintergründig …“
(„Der Menschheit Würde ist in Eure Hand gegeben“, S. 139)
Einige der unbekannteren „Alltags“-Satiren Helmut Qualtingers waren für mich eine echte Überraschung: wie die allgegenwärtigen, verseuchten Wiener Tauben hocken seine düsteren Figuren in den Kaffeehäusern, auf den Aussichtsterrassen, lehnen in den Fensterbänken – häßliche, verbitterte Menschen, mit engen Horizonten. Tiefschwarz wird Qualtingers Humor in diesen Augenblicken.
In „Der Mörder“ lamentiert ein Ehemann über der Leiche seiner Frau, daß sie ihn nach dreißig Jahren Ehe voller Langeweile, Tristesse und latentem Haß nicht einmal im Tod versteht. In „Die Kastanien blühen“ schiebt ein alter Mann seine sprechbehinderte, gelähmte Frau im Rollstuhl an einem warmen Frühlingsnachmittag über die Prater Hauptallee. Die Idylle ist mit den ersten Sätzen des Mannes zerstört. Im Lauf der Szene entwickelt er ein routinisiertes sadistisches Tagesprogramm.
„ER Aber Gucki, was fürchst di‘ denn? Der Hansi is‘ ja wieder da. Der Hansi is‘ immer da. Der Hansi hat seine Gucki ja so lieb.
Sie kommen an der Hochschaubahn vorbei. Wagen sausen auf und ab, Frauen kreischen. Dazwischen flattern und gurren Tauben. Hansi parkt den Rollstuhl und geht auf einen Sliwowitz. Es dauert länger. Als er wiederkommt, hat eine Taube die Frau im Rollstuhl am Kopf beschmutzt.“ (S. 183f.)
Die Quälereien, die sich Qualtingers Helden antun, brauchen keinen konkreten Anlaß, ein Nichts genügt, um den schwelenden Haß zu entflammen.
Best of Qualtinger ist nicht nur ein Buch für Helmut Qualtinger-Fans. Die Texte sind auch heute aktuell und manchmal gelingen dem Autor Augenblicke, bittere Momente, vor allem in seinen Alltagsszenen, die jenseits der Satire, jenseits des Melodramatischen tief berühren. In „Gemeindebau, 4 Uhr früh“ erfindet ein Mann die schönsten Ausreden, warum er so spät und angetrunken nach Hause kommt, seine Frau läßt nicht nach und schließlich:
„Er starrt sie an. Haß steigt in seinen Augen auf und dann Verzweiflung.
ER Wo wer‘ i scho‘ g’wes’n sein? Er kehrt ihr den Rücken zu. Im Tschoch an der Eck’n natürlich, wie immer. Mir ham Kart’n g’spült, und der Novak hat wieda verlur’n.
Dunkel.(S. 182)