#Roman

April in Paris

Michael Wallner

// Rezension von Martina Wunderer

„Avril prochain, je reviens“, singt Maurice Chevalier. „Was wird sein – im nächsten April?“ fragt sich der deutsche Obergefreite Roth, Ich-Erzähler des neuen Romans des Grazer Autors Michael Wallner. April in Paris, im Jahre 1943. Zweiter Weltkrieg. Zeit der deutschen Besatzung, der abendlichen Ausgangssperre, der Tyrannei, der Fremdbestimmung. Machtwillkür auf der deutschen, gewaltbereite Résistance im Untergrund auf der französischen Seite.

Roth wird zur deutschen Staatspolizei versetzt, wo er das Amt des Dolmetschers bekleidet. Er übersetzt die Antworten der französischen Gefangenen, meist durch grausamste Folter aus ihnen herausgeprügelt. Der Dienst macht ihm zu schaffen. Ebenso die feindseligen Blicke der Franzosen, wenn sie die deutsche Wehrmachtsuniform sehen und das Geräusch schwerer beschlagener Militärstiefel auf dem Pariser Pflaster hören. Und so schlüpft Roth aus seiner Uniform, tauscht sie gegen einen karierten Straßenanzug, klemmt sich die Fabeln Fontaines unter den Arm und erfindet sich neu als Antoine, „Antoine, der Buchhändlergehilfe.“ Mit der Dienstkleidung legt er die drückende Last der Mitwisserschaft, der Mitverantwortung für die Folterungen und grausamen Verhöre ab. Auf ein solches Vergehen gegen die Dienstvorschrift steht die Todesstrafe. Doch Roths jugendlicher Leichtsinn besiegt den Gedanken an die Gefahr, besonders, als sein Denken zunehmend von der „eigenartigen Schönheit“ mit dem „listigen Katzenkopf“ eingenommen wird, die er auf einem seiner verbotenen Streifzüge auf einer Treppe sitzend und lesend sieht und in die er sich auf diesen ersten Blick hin verliebt. Von dieser Begegnung an lässt ihn der Wunsch, sie wieder zu sehen, nicht mehr los, er sucht sie in der Buchhandlung ihres Vaters, verfolgt sie zu ihrem Arbeitsplatz in einem Friseursalon, auf ihren Wegen durch die Stadt, und als es endlich zu der ersehnten Verabredung kommt, ist er bereits zu sehr von ihr eingenommen, um Verdacht zu schöpfen, und tappt blindlings in ihre Falle. Denn Roth ahnt nicht, dass Chantal ebenso wie er ein gefährliches Doppelleben führt: tagsüber arbeitet sie im Friseursalon, nachts tanzt sie nackt vor SS-Offizieren, doch im Hintergrund ist sie an der Seite ihres Vaters und des Friseurs für die französische Résistance aktiv.

Es beginnt ein gefährliches Katz- und Mausspiel, gegenseitige Verdächtigungen und Gefühlsverwirrungen sorgen für Spannung, politische und private Interessen prallen aufeinander, und unversehens gerät Roth zwischen die Fronten. Er, der boche, der es sich in einer „Sowohl-als-auch-Existenz“ eingerichtet hatte, erkennt zu spät den tödlichen Ernst der Lage. Aus Angst, anzuecken, zu feige, Position zu beziehen, hatte er bei den grausamen Verhören französischer Gefangener bloß die Augen geschlossen, hatte als Akt des Widerstands nur „alles Deutsche in seiner Wäsche“ vernichtet. Erst als Widerstandskämpfer zu Tode gefoltert werden, Chantal unter Lebensgefahr aufs Land geflohen ist und mehrere SS-Männer durch eine von ihr gelegte Bombe getötet werden, der Roth selbst nur knapp entgeht, dämmert ihm, dass er Partei ergreifen muss. Erst als er selbst im Gefängnis der deutschen Geheimpolizei sitzt – die Anklage lautet auf Hochverrat – erkennt er die eigene Schuld: „Immer war Chantal eine Kämpfende gewesen, während ich, verstrickt ins Idyll meiner Vorstellung, bloß vor der Wirklichkeit floh. Sie hatte den Feind im Auge behalten, während ich versuchte, zwischen den Fronten zu pendeln. Sie war ins Bordell gegangen, um die verhassten Besatzer zu töten. Sie hatte etwas verändert.“

So weit die Handlung dieses flüssig und spannend erzählten, schnell zu lesenden Romans. Eine „groteske Geschichte“, reflektiert der Ich-Erzähler Roth über die Ereignisse: „Ein deutscher Soldat verfiel den Reizen der schönen Widerstandskämpferin und ließ sich verleiten, die eigenen Leute ans Messer zu liefern. Die Tatsachen waren nüchterner.“

Doch leider zerfasert der in den Anfangskapiteln packend und effektvoll angelegte Spannungsbogen immer mehr in unmotivierte Episoden, der Verlauf der Handlung wirkt zunehmend konstruiert. Und besonders originell ist der Roman nun gerade nicht – zweiter Weltkrieg, das besetzte Paris als Schauplatz für eine rührende Liebesgeschichte zwischen zwei jungen Helden aus verfeindeten Lagern – das haben wir doch irgendwie, irgendwo alles schon gelesen. Noch eine Prise Bildungsroman, noch ein Esslöffel Historie, zur Krönung etwas Sentimentalität für die Tränendrüse, und fertig ist der Bestseller. Auf dieses Prädikat scheint Wallner es mit April in Paris auch abgesehen zu haben, nachdem seine drei Vorgängerromane keine große Resonanz hervorrufen konnten. Doch bürgt das Rezept für einen Bestseller leider nicht (immer) für literarische Qualität. Wallner will zu viel und hält zu wenig. Und so ist April in Paris weder „nachdenklich“ noch „hinreißend“, wie es der Klappentext will, sondern an vielen Stellen reißerisch und psychologisch unausgereift, es fehlt der Handlung an Stringenz und innerer Kohärenz.

Dies gilt auch für die Figurenzeichnung, bei der Wallner lieber Stereotypen bemüht als authentische, in ihrer Psychologie überzeugende Charaktere zu schaffen: wir begegnen Roth, dem blutjungen gutaussehenden Wehrmachtsoldaten, ein Grünschnabel zwischen Pflicht und Gefühl, ein unfreiwilliger Märtyrer. Auf wundersame Weise überlebt er nicht nur grausamste Folter und einen Einschuss, sondern gar einen Sturz von einem fünfstöckigen Gebäude und erwacht unter dem sanften „Blick der Jungfrau Maria“. Einzig die Hoffnung Chantal wiederzusehen schenkt ihm den Willen und die Kraft zu überleben. Sie, die Frau seiner Träume, die junge schöne Widerstandskämpferin, geht für ihre politische Überzeugung sogar in den Tod. Dem traurigen Paar ist kein glückliches Ende vergönnt. Roth wird am Ende seiner entbehrungsreichen Odyssee nur noch Chantals Grab und einen blutbefleckten Dolch finden, mit dem sie ihre Ehre verteidigte. Und als Frucht ihrer Liebe wider jede Vernunft das gemeinsame Töchterchen Antoinette.

In den Nebenrollen finden sich Roths Vorgesetzter Leibold, ein österreichischer Dandy mit einer unverhohlenen Schwäche für seinen hübschen Übersetzer, der zu Hause Wildblumen sammelt und in Paris seine Gefangenen ohne mit der Wimper zu zucken zu Tode foltern lässt.

Unersetzlich auch die „Bienenkönigin in Leibolds Stab“, das Tippfräulein Rieleck-Sostmann, eine blonde Matrone, die sich ihr Stillschweigen über Roths Verwandlung in Antoine mit sexuellen Dienstleistungen bezahlen lässt. In Flagranti erwischt werden sie von Hirschbiegel, dem fettleibig-gutmütigen Zimmernachbarn Roths, mit dem ihn eine besondere Männerfreundschaft verbindet. Und, der wundersamen Zufälle nicht genug, hätte der Vater dieses Hirschbiegel keine Affäre mit der Concierge eben jenes Hauses gehabt, von dem Roth nach der Verfolgung durch Leibold stürzte, so hätte diese ihn nicht aufopferungsvoll gesund gepflegt. Unwillkürlich fragt sich der Leser nicht zum ersten Mal, ob das denn wirklich auch noch sein muss. Von der durch den Erzähler beschworenen Nüchternheit ist spätestens hier nichts mehr zu spüren, sie ist längst der Rührseligkeit und dem Klischee gewichen. Über die plumpe Aufdringlichkeit solcher Wendungen verliert der Leser leider zunehmend auch die Lust an den durchaus gelungenen Situationsbeschreibungen, am Doppelsinn vieler Anspielungen und an den in Schwebe gehaltenen Nebenbedeutungen. Es bleibt ihm aber auch nichts erspart: Sadismus und Selbstlosigkeit, Sex und Gewalt, Liebe und Hass, Kleinmut und heroische Tapferkeit, alles wird in einen Topf geworfen, kräftig gerührt und gar gekocht, und dem Leser eine üppige Portion dieses Eintopfs vorgesetzt. Immerhin ist die Kost leicht verdaulich, wie es sich für solide Unterhaltungsliteratur gehört. Den faden Nachgeschmack kann jedoch selbst das emphatische Ende des Romans nicht mehr vertreiben.

April in Paris.
Roman.
München: Luchterhand Literatur Verlag, 2006.
240 Seiten, gebunden.
ISBN 3-630-87221-2.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 07.06.2006

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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