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#Anthologie

Räume für Notizen

Günter Vallaster (Hrsg.)

// Rezension von Lydia Haider

Betrachtet man das Buch Räume für Notizen von außen, so ist man tatsächlich dazu verleitet, es für ein Notizbuch zu halten – aber das ist ja auch Sinn der Sache, denn explizit soll mit dem Titel auf Vakatseiten in Kalendern oder Katalogen angespielt werden. So wurde auch der Umschlag, gestaltet von Andrea Zámbori, in dieses Konzept mit einbezogen. Er stellt eine detaillierte Maserung von Holz dar und verleitet mit diesem Erscheinungsbild noch mehr dazu, den Sammelband für ein Notizbuch zu halten („Hast du ein neues Notizbuch?“ – eine in den vergangenen Tagen häufig an mich gerichtete Frage), darüber hinaus wird mit dem Bild auf die Vielschichtigkeit dieser Notizen verwiesen. Doch nicht nur das: Es soll hier ausdrücklich Notiz genommen werden, und zwar von einer Kunstform, der in unseren Tagen zumeist zu wenig Raum gegeben wird, nämlich der visuellen Poesie.

Die vorliegende Anthologie Räume für Notizen ist der achte Band der 2006 begonnenen Reihe Raum für Notizen, von Günter Vallaster herausgegeben und wie bereits gesagt der visuellen Poesie verpflichtet. Es handelt sich bei dem vorliegenden Sammelband um den vorläufig letzten Band dieser Reihe – daher wurde hier ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung theoretischer Texte zur visuellen Poesie gelegt. Vier Essays, von Derek Beaulieu, Heike Fiedler und Juliana V. Kaminskaja, sollen neben visueller und digitaler Poesie, neben Paragrammen und konzeptuellen Beiträgen, eben auch in die Theorie dieser Materie vordringen.

Treu bleibt der Band seinem Grundsatz, Mehrsprachigkeit in der Kunst ins Zentrum zu rücken und die Vernetzung von KünstlerInnen aus den verschiedensten Ländern zu fördern. Und das scheint sehr gelungen zu sein. Vielfältig ist auch die Auswahl an unterschiedlichsten Primärtexten im Buch, so gibt es etwa Beiträge, die ohne offensichtlichen Text auskommen, wie Shin Tanabes Bild, oder welche, die scheinbar nur Text sind, so wie Jürgen O. Olbrichs Beitrag, bei dem das fehlende Bildliche, das „nothing“ jedoch zum Funktionieren seines Werkes dazugehört. Der Sammelband beinhaltet ebenfalls konzeptuelle Beiträgen, wie jener von Renate Pittroff und Christoph Theiler als wechselstrom, die in ihrem Bericht Was springt über, was wird moduliert, was wird gefiltert? vergangene Projekte und Aktionen, als auch ihr wechselstrom-Logo, und deren Funktionieren und ihre Auswirkungen beschreiben. So etwa eröffnen sie, dass der briefliche Spendenaufruf zum Mozartjahr wenig Geld eingebracht hätte, hingegen anderweitig eine große Anzahl unterschiedlichster Reaktionen zu verzeichnen war. Die Aktion rund um die Kalbsembryonen hat sehr weite Kreise gezogen und auch gesetzliche Änderungen angeregt.

Nach einem theoretischen Vorwort des Herausgebers eröffnen zwei Paragramme von Helwig Brunner diesen Band, und damit wird auch eine Tradition der Reihe fortgeführt, nämlich dieser permutativen Schreibweise, der bereits der gesamte Band Nummer 6 gewidmet wurde, eine Plattform zu geben. Die „arie des kleiber jungen“ erzählt die Lebensgeschichte eines Künstlers, jene eben des „kleiber jungen“, und gewährleistet damit einen kunstvoll amüsanten Einstieg in dieses vielseitige Buch.

Die Beiträge im Kapitel „A Global Visuage“ versuchen, die beiden Ausdrucksformen Sprache und Bild zu einem Zusammentreffen zu bringen. jörg piringer hat für seinen Beitrag aus Berichten aus der Zeitung heute schrittweise Stellen gelöscht, um sie dann mit Grafiken wieder aufzufüllen. Eine Collage, die an eine von Moosen überwucherte Landkarte erinnert, oder an eine Fotografie einer Stadt aus der Vogelperspektive ist das Ergebnis. Einige einzelne Worte blieben bei dieser Löschung erhalten, wobei der Adler, der Opa und das Kind (3) in zwei nicht mehr präzise zu entschlüsselnden Schlagzeilen auch nicht mehr relevant sind und in einer Datenmasse an irrelevanten Informationen – in seinem Bild durch eine unkontrollierte Aufeinanderfolge von Buchstaben dargestellt – einfach untergehen.

Ilse Kilic mit Fritz Widhalm eröffnen in einer comicartigen Zeichnung eine Geschichte, die sie selbst zu deren ProtagonistInnen macht. Ein Reim, der diese (unerzählte) Geschichte eröffnet, spielt auf ironische Weise mit Zuschreibungen und Leistungsdruck, ihr Wissen und Nichtwissen schwebt als riesige und bedrohliche Sprechblase über ihren Köpfen.

Klassische und altbekannte visuelle Poesie, jedoch weniger innovativ, da diese Manier von visueller Poesie von VertreterInnen der konkreten Poesie bereits mehr als ausgeschlachtet wurde, ist der Umrisstext von Erika Kronabitter, bei dem das Aha-Erlebnis, das sich durch Text und Bild ergibt, bei den Lesenden leider ausbleibt.

Der Beitrag von Cecilie Bjørgås Jordheim vereint Text, Bild und Musik, wobei die konkrete Musik nur bei der Buchpräsentation zu hören war und nicht als CD oder als Notenbild dem Buch beigelegt ist. Der Songtext des bekannten Hits We Built This City On Rock And Roll wird hier fortgeschrieben und umgeformt und überspitzt formuliert von der leichtfüßigen Songtextwelt in die harte und deprimierende Realität eines Alltags und ins Jetzt zurückgeholt. Die Zeilenlänge wird dabei gestutzt, in der Folge aus dieser Länge mit Balken ein Stadtbild entworfen. Letztendlich werden die geschaffenen vier Stadtbilder übereinandergelegt und darüber ganz plakativ demonstriert, dass die City des originalen Liedtextes eine andere ist, als jene heute.

Zu erwähnen bleibt weiters der konzeptuelle Beitrag, oder mehr schon wäre hier von Konzeptkunst zu sprechen, der beiden Polen Leszek Onak und Lukasz Podgórni mit dem Titel „Bread Resolution Manifesto v. 1.8.“ In englischer Sprache und mit den unterschiedlichsten Sonderzeichen, also mit Symbolen und Buchstaben verschiedener Sprachen im Text und das in großen Häufungen, gestalten sie einen Aufruf, eine ironische Abhandlung über die Sprache und das Medium Papier, das Internet als die zukunftsträchtigere Publikationsform und prophezeien eine schon demnächst erwartete Bio-Literatur.

Im letzten Beitrag des Bandes geht Weertje Willms der Dichtung Günter Vallasters nach und beschließt die gewonnenen theoretischen Erkenntnisse mit einem Interview.

Alles in allem besticht Räume für Notizen mit Vielseitigkeit, mit einer tatsächlich beeindruckenden Bandbreite an unterschiedlichsten Kunstformen und Essays und es bleibt nur zu sagen: Mehr davon bitte.

Mit Beiträgen von: Tomomi Adachi, Derek Beaulieu, Christian „Yeti“ Beirer, Helwig Brunner, Natalia Federova, Jozsef Fekete (Jofo), Heike Fiedler, Tim Gaze, Thomas Havlik, Zuzana Husárová, Cecilie Bjørgås Jordheim, Juliana V. Kaminskaja, Ilse Kilic, Richard Kitta, Barbara Köhler, Erika Kronabitter, Ulrich Nausner, Jürgen O. Olbrich, Leszek Onak, jörg piringer, Renate Pittroff, Lukasz Podgórni, Shin Tanabe, Christoph Theiler, Andrew Topel, Amitesh Shrivastava, Günter Vallaster, Seth Weiner, Fritz Widhalm, Weertje Willms, herbert j. wimmer, Andrea Zámbori, Jörg Zemmler.

Räume für Notizen.
Wien: edition ch, 2014 (= raum für notizen 8).
132 Seiten, broschiert.
ISBN 978-3-901015-57-1.

Homepage des Herausgebers mit Informationen über das Buch

Rezension vom 01.02.2014

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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