Am Werk Ernst Jandls führt kein literarischer Weg vorbei und zu erinnern ist dabei auch immer daran, wie beschwerlich Jandls eigener Weg zur Anerkennung war. Viele, die sich intensiver mit Literatur beschäftigen, ob lesend oder selbst schreibend, stoßen früher oder später auf seine Arbeiten, lassen sich von ihnen zum Nachdenken über Sprache und Welt anregen, die kindliche Lust am kreativen Sprachspiel wiederentdecken, sich zu Schreibimpulsen oder einem alerteren Leseverhalten inspirieren und, warum nicht: auch unterhalten. Für andere stellt sein Werk aber auch eine Folie zur kritischen Abarbeitung dar – zu simpel, zu sehr auf Pointe, so lauten manche Einwände, auch ewiggestriges Was-soll-das ist selbst heute noch zu hören. Im Großen und Ganzen ist aber seine Bedeutung unbestritten. Davon legt nicht nur der schon ein Jahr nach seinem Ableben gestiftete Ernst Jandl-Preis Zeugnis ab, sondern auch die Sammlung der vorliegenden 47 poetischen Reflexionen.
Bei aller Unterschiedlichkeit und Vielfalt lassen sich die Beiträge durchaus gruppieren: Da gibt es zunächst einmal Überschreibungen, Streichungen und Ergänzungen als Stilmittel: Sonja Harter lässt auf diese Weise am Gedicht „weißes blatt“ die Verse „weißes blatt / ich / spüre NIX / ich zerreiße / den grund“ (7) stehen, Brigitta Falkner macht aus „ich bin frei und mir ist schlecht“ bei durchgestrichenem „schlecht“ „ich bin frei und mir ist fad“ (49). Einige Beiträge sind Variationen, Paraphrasen und Fortschreibungen des jeweiligen Jandl-Gedichts, wie Steffen Popps „die klage ist eine lache“ (11) auf „die klage ist eine sage“. Marion Poschmann konzentriert sich beim Gedicht „schweres wort“ auf die perfektiven Verben mit Vorsilbe ver- und baut mit solchen Verben einen hakenschlagenden Text, „falscher hase, dicker hund“ (23), um den ein gezeichneter Hase hoppelt. Als Replik oder Spiegelung kann ein Beitrag wie der von Christian Uetz betrachtet werden, der Jandls „jalousie“ eine mit „bloss“ und „nicht“ als Lamellen entgegensetzt (37). Auch Paul Jandls poetische Auseinandersetzung mit der Namensgleichheit fällt in diese Kategorie: „ich sag was er sagt: / jandl mein name“ heißt es darin (43). Herta Müller setzt zum I- und E-dominierten „was ein gedicht ist“ zur kontrastierenden Ergänzung eine Collage aus Wörtern getragen vom A: „Anna war kalt am Tag danach“ (61). Den umgekehrten Weg der „lautlichen Übersetzungen“ Ernst Jandls aus dem Englischen à la „mai hart lieb zapfen eibe hold“ beschreitet Raphael Urweider, wenn er aus „das stürmische doch / sucht mich“ „the stormy dock / thought me“ (13) macht.
Groß ist auch die Gruppe der Interpretationen und Kommentare, die erhellende Lichter auf die betreffenden Jandl-Texte werfen und dabei auch den Humor nicht vergessen, wenn etwa Lutz Seiler Jandls Vers „etwas zu boden gelassenes / fortkriechen sehen“ mit der Grazer Straßenbahn in Verbindung bringt (33). Wichtig sind auch die dichterischen Begegnungen in anderen Sprachen: So greift Aleš Steger das etwas grantig daherkommende Kürzestgedicht „ein roman“ („ein roman ist eine geschichte / in der / alles zu lang dauert. / das ist ein roman.“) wie einen Schaukelsitz auf und bringt auf Slowenisch Vers für Vers, „Adressiert an die Kindheit“, Kindheitserinnerungen zum Schwingen (15).
Obwohl alle Beiträge Hommagen sind und manchmal mehr Richtung Persiflage, manchmal mehr Richtung Pastiche gehen, sind sie immer zunächst Begegnungen und Konfrontationen mit den jeweils eigenen Schreibstilen, durch die wiederum oberflächen- oder tiefenstrukturelle Andockstellen zu Ernst Jandls Texten sichtbar werden, wie beim 2005 verstorbenen Thomas Kling, dessen Gedichtbeispiele aus dem Zyklus TIROLTYROL in Korrespondenz mit Jandls „villgratener texten“ gebracht werden (53). Sehr beeindruckend ist unter anderem Elfriede Gerstls lyrische Lebensreflexion „lebenslängen“ (89, siehe Leseprobe), einen Monat vor ihrem Tod niedergeschrieben, die sich mit Ernst Jandls „kein widerspruch“ trifft.
Während der Vorbereitungen zu diesem Buch verstarb auch der Literaturwissenschaftler Jörg Drews, der einer der engagiertesten Förderer und Würdiger des Werks von Ernst Jandl war. Von ihm ist ein Auszug aus seiner Interpretation von „wien : heldenplatz“ abgedruckt, erschienen 1980 in den „manuskripten“ und 1982 im „Ernst Jandl Materialienbuch“ (hg. von Wendelin Schmidt-Dengler). Friederike Mayröcker beschließt den Band und fügt ihrem Gedicht „Zu: ottos mops“ (99) aus dem Jahr 1976 eine sehr persönliche „Nachschrift vom 19.7.2000“ an. Es könnten nun natürlich noch alle weiteren Wege von Jandl weg auf Jandl zu aufgezählt werden. Das Entdecken und Erlesen all dieser poetischen Perlen sei aber den Leserinnen und Lesern als eigene anregende und vergnügliche Aufgabe anempfohlen.
Das Buch enthält Beiträge von Ernst Jandl und Friedrich Achleitner, Urs Allemann, Daniel Bänulescu, Nico Bleutge, Franz Josef Czernin, Michael Donhauser, Jörg Drews, Oswald Egger, Brigitta Falkner, Ingrid Fichtner, Werner Fritsch, Elfriede Gerstl, Anselm Glück, Dorothea Grünzweig, Fabjan Hafner, Sonja Harter, Norbert Hummelt, Felix Philipp Ingold, Paul Jandl, Thomas Kling, Barbara Köhler, Alfred Kolleritsch, Friederike Mayröcker, Herta Müller, Kurt Neumann, Steffen Popp, Marion Poschmann, Ilma Rakusa, Klaus Reichert, Monika Rinck, Heinz Schafroth, Ferdinand Schmatz, Stefan Schmitzer, Julian Schutting, Lutz Seiler, Armin Senser, Aleš Steger, Ulf Stolterfoht, Christian Uetz, Liesl Ujvary, Raphael Urweider, Anja Utler, Jan Wagner, Peter Waterhouse, Ernest Wichner, Paul Wühr, Uroš Zupan.