Der stößt bei seiner Untersuchung auf himmelschreiende Ungereimtheiten, es riecht sogar nach Hochverrat. Aber aus diesen Bauern ist nichts herauszukriegen. Zuerst wird der traurige Haufen nicht einmal mit ein paar Banditen fertig und lässt die SS in einen Hinterhalt der Partisanen laufen, die sich schließlich vielleicht sogar im Dorf verstecken, und dann verschwindet auch noch die Glocke aus dem Kirchturm, einen Tag, bevor sie für Führer, Endsieg und Wunderwaffe eingeschmolzen werden soll. Die schwere Kirchenglocke, die ein Dutzend starke Männer gerade schleppen können, spurlos verschwunden, und jeder nix gehört und nix gesehn…
Heinz R. Ungers bekanntestes Stück Zwölfeläuten nimmt Nazibonzen und Mitläufer aufs Korn – und setzt nicht zuletzt dem österreichischen Widerstand ein Denkmal. Das Bühnenwerk, Mitte der 80er Jahre mit großem Erfolg uraufgeführt, feiert nun ein doppeltes Comeback: als Film und als Erzählung. Schon das Theaterstück hätte ursprünglich ein Drehbuch werden sollen. Nun, 16 Jahre später, sah Unger sein Projekt nun endlich in die Tat umgesetzt. Am 21. Oktober 2001 soll die ORF-Produktion Zwölfeläuten erstmals ausgestrahlt werden.
Die gleichnamige Erzählung ist kürzlich bei Haymon erschienen. In turbulenten und vor allem äußerst komischen Szenen hat Unger seinen Stoff in Prosa umgesetzt, eine Prosa, die sehr nahe mit dem Theater verwandt ist. Manche Passagen lesen sich fast wie Regieanweisungen. Das stört aber keineswegs, unterstreicht vielmehr den Modellcharakter des Erzählten, das fiktive Dorf Sankt Kilian steht pars pro toto für das ganze Land. Distanziert und ironisch präsentiert der Erzähler seine Figuren, ländliche Originale, alle verschmitzt auf den eigenen Vorteil bedacht.
Zwölfeläuten ist ebenso der Tradition des Volksstücks verpflichtet wie jener der österreichischen Dorfliteratur der Nachkriegszeit. Vergleiche allen voran mit Hans Lebert drängen sich auf und sind doch fehl am Platz. Sankt Kilian trägt keine dämonisch-bedrohlichen Züge, und wenn auch die Schrecken der Nazizeit keinesfalls bagatellisiert werden, stehen sie doch nicht im Vordergrund. Unger ging es vor allem darum, die Freiheitskämpfer ins öffentliche Bewußtsein zu rufen: die steirische Partisanengruppe Leoben-Donawitz, die „einzige bewaffnete Widerstandsbewegung, die aus der Bevölkerung heraus und ohne äußere Initiation entstanden war.“ Auch die verschwundene Kirchenglocke ist nicht frei erfunden, etliche authentische Beispiele für „Glockenraub“ sind bekannt, das „Zwölfeläuten“ als Symbol für eine Dorfgemeinschaft – oder Widerstand aus Sturheit.
Spannend sind sowohl der Stoff als auch die Umsetzung. Der Dorftrottel agiert meist schlauer als seine Mitbürger, der Pfarrer predigt recht zweideutig, und die geschätzten Nachbarn wissen ganz genau, wie sie einander gegenseitig unter Druck setzen können – und zum Schweigen bringen. Kaum einer, der nicht doch ein wenig Dreck am Stecken hätte. Und dass sich ausgerechnet die Tochter des Ortsvorstehers in einen Widerstandskämpfer, einen „Banditen“ verliebt, hätte sich der werte Vater zu Kriegsbeginn wohl auch nicht träumen lassen. Der Autor selbst bezeichnet die Dorfgemeinschaft Sankt Kilian „als Symbol für die Menschheit schlechthin. In der Sammlung ihrer Qualitäten ist alles enthalten, was unsere Vergangenheit bestimmte und unsere Zukunft sein könnte: Himmel oder Hölle, je nachdem.“