Aber Thurnher hats auch gar nicht nötig.
In seinen neuesten Betrachtungen über unsere nächste Umgebung im Spiegel der letzten Jahrzehnte setzt er scharfsinnig, amüsant und gelegentlich zynisch, die u. a. von Robert Menasse und Josef Haslinger eingeleitete „Auseinandersetzung mit den verschwiegenen Kontinuitäten der österreichischen Zeitgeschichte“ fort. Die Themen sind vielseitig. Neben Kuriositäten wie Handymania und Sportler-Glorifizierung beschäftigt sich Thurnher in Das Trauma, ein Leben. Österreichische Einzelheiten mit Innenpolitik am Beispiel von Franz Vranitzky, Viktor Klima oder den Umständen von Jörg Haiders Machtergreifung in der FPÖ, außerdem mit Besonderheiten der österreichischen Medienlandschaft und Überlegungen zu Kunst- und Kulturszene, die in eine Hommage à Franz Schuh münden. Es wimmelt von Anspielungen und Querverweisen, und selbst der gelernte Österreicher kann durchaus noch was dazulernen.
Der Titel verweist auf den Ausgangspunkt des Textes: Sein und Schein österreichischer Realität und die unbewältigten Probleme seiner Identität (von der Frage pro oder contra Neutralität bis zum nicht vorhandenen bzw. nicht funktionierenden öffentlichen Diskurs); nur hat sich der aus Grillparzers Der Traum, ein Leben entlehnte (Alp-)Traum von der Macht zu handfesten Traumata ausgewachsen, die das Ringen ums Sagen im Land aus der öffentlichen Diskussion in Gerüchteküchen und kleinformatige Presseberichterstattung verbannt haben.
Was für Menasse die Sozialpartnerschaft, ist für Thurnher die Mediaprint. Und hier liegt auch der Schwerpunkt seiner Österreichischen Einzelheiten, naheliegend aus mehreren Gründen. Erstens ist diese außerordentliche Machtkonzentration in den Händen der Boulevardpresse ja ganz offensichtlich ein Phänomen, das österreichische Zeitgeschichte entscheidend prägt, mit dem vielzitierten unrühmlichen Superlativ der Kronen Zeitung als der relativ mächtigsten Zeitung der Welt und ihrer bereits an vielen Beispielen belegten realen Politikbestimmung im Land, durch Kampagnen im speziellen und Meinungsbildung im allgemeinen; zweitens ist es nicht erstaunlich, daß ein Journalist Zeitgeschichte durch Mediengeschichte betrachtet, was auch in anderen Ländern oft ein fruchtbares Unterfangen bedeutet; und drittens ist es seit langem Armin Thurnhers erklärtes Ziel, der Mediaprint in offenem Kampf die Stirn zu bieten. David gegen Goliath. Nur sind moderne Goliaths gegen alle Eventualitäten gewappnet. Nichtsdestotrotz endet Thurnher seit fünf Jahren seine wöchentlichen Kolumnen in der Wiener Stadtzeitung Falter mit den Worten: „Im übrigen bin ich der Meinung, die Mediaprint muß zerschlagen werden.“
Aber nicht nur Krone & Co. gilt des Autors Aufmerksamkeit, auch die mit „News“, „tv-media“ und „Format“ so erfolgreiche „Fellner-Presse“ wird ausführlich behandelt und analysiert samt ihren über ausländische Investoren laufende indirekten Beziehungen zur Mediaprint und ihren Praktiken der Abonnentenwerbung, die sich kleinere Konkurrenten nicht leisten können, ohne wegen unlauteren Wettbewerbs verklagt zu werden.
Thurnhers Betrachtungen enthalten natürlich viel Bekanntes, doch werden interessante Zusammenhänge hergestellt, Begebenheiten in ihrem Kontext beleuchtet und gesellschaftliche Phänomene analysiert, so daß eine in mancherlei Hinsicht erhellende Perspektive eröffnet wird, die den Leser vor die unlösbar scheinende Frage stellt, ob er lachen oder weinen soll über das, was er sehen muß.