#Roman

April in Stein

Robert Streibel

// Rezension von Janko Ferk

Robert Streibel hat einiges an Literatur, sogar Lyrik, und insgesamt viele Veröffentlichungen vorzuweisen, aber erst mit seinem Roman April in Stein hat ihn eine größere Öffentlichkeit zum ersten Mal als Literaten wahrgenommen. Der sechsundfünfzigjährige Autor wurde dort geboren, wo sein neues Buch spielt, nämlich in Krems an der Donau. Streibel hat in Wien Geschichte studiert, ist als Historiker tätig und in seinem Zivilberuf Direktor der Volkshochschule Hietzing.

Als Historiker hat er zahlreiche Forschungsprojekte zu Exil, Judentum, Nationalsozialismus sowie zahlreiche Gedenkaktionen zu Vertreibung und Widerstand im NS-Staat durchgeführt. Er ist schon wegen seiner bisherigen Publikationen der berufene Verfasser für den Roman April in Stein. Erwähnt seien seine relevantesten historischen Veröffentlichungen, nämlich „Plötzlich waren sie alle weg. Die Juden der Gauhauptstadt Krems“, „Februar in der Provinz. Eine Spurensicherung zum 12. Februar 1934 in NÖ“, „Krems 1938 – 1945. Eine Geschichte von Anpassung, Verrat und Widerstand“ und zuletzt „Bürokratie & Beletage. Ein Ringstraßenpalais zwischen ‚Arisierung’ und spätem Recht“. Allein diese Titel sollen darauf verweisen, dass dem Autor in Zukunft größere Aufmerksam zuteil werden sollte, zumal Österreich seine Vergangenheit bis heute noch nicht wirklich aufgearbeitet hat. Ein Schandfleck ist beispielsweise die Tatsache, dass weder alle geraubten Bilder noch alle arisierten Ringstraßenpalais korrekt restituiert wurden und aller Voraussicht nach nie werden. Eigentlich ein schweres Erbe dieser Republik.
Im Grunde weiß jede gelernte Österreicherin und jeder versierte Österreicher mit dem Synonym „Stein“ etwas anzufangen. Es ist jener Ort im niederösterreichischen Krems, an den „Im Namen der Republik“ sogenannte schwere Jungs geschickt werden, die rechtskräftig zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden sind.

Während der NS-Gewaltherrschaft in Österreich war das Zuchthaus in Krems-Stein, wie es seinerzeit hieß – heute ist es eine Justizanstalt – das größte der „Ostmark“. Hier wurden von den brutalen Schergen und Helfershelfern des Nazi-Regimes Widerstandskämpfer aus ganz Europa eingesperrt, entrechtet, entwürdigt, gequält und als Zwangsarbeiter bis zum Letzten ausgebeutet.
Kurz vor Kriegsende kam – für die Büttel und Folterknechte – eine verwirrende Weisung: Alle Häftlinge seien freizulassen. Und so öffnen sich am 6. April 1945 die Gefängnistore. In einem beispiellosen Massaker, dessen 70. Jahrestag heuer zu begehen ist, ermorden unter Mithilfe (!) der lokalen Bevölkerung SS, SA und Angehörige der Wehrmacht hunderte politische Häftlinge. Nur einen Monat später hatte der NS-Spuk ein Ende, aber davor mussten an vielen Schauplätzen noch abertausende unschuldige Menschen ihr Leben lassen – nicht nur in Stein.

Die Erinnerungen der Überlebenden hat Robert Streibel als Historiker in zahlreichen persönlichen Gesprächen festgehalten und zu einem vielstimmigen, erschütternden Roman verbunden, der eines der nicht wenigen verdrängten Stücke österreichischer Zeitgeschichte lebendig macht. Es kann durchaus sein, dass sich Krems nicht von selbst zu seiner Geschichte bekannt hätte, doch Robert Streibel stellt die Stadt nun ihrer Vergangenheit. Die unschuldigen Opfer verdienen es, und zwar vorbehaltlos. Sein Roman ist eine erste Aufarbeitung des bisher in der Literatur, zumal in der Belletristik, nicht dokumentierten Massakers von Krems-Stein.
Den fesselnden Roman hat der Autor, was sich bei der Lektüre als besonders hilfreich erweist, am Ende mit einem umfangreichen Personenverzeichnis und einem lehrreichen Glossar versehen. Nicht weniger aufschlussreich ist das Vorwort des Autors.

Für diesen zeithistorischen Roman über den Massenmord in Krems am 6. April 1945 gebührt dem Autor jeder Preis, der für Romane dieses Genres vergeben wird, beispielsweise der Bruno Kreisky-Preis für das politische Buch. Robert Streibel wäre wieder einmal ein würdiger Preisträger.

Robert Streibel April in Stein
Roman.
St. Pölten, Salzburg, Wien: Residenz, 2015.
259 S.; geb.
ISBN 978-3-7017-1649-4.

Rezension vom 26.03.2015

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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