Rote Lackn schöpft aus der Erinnerung: Die Ich-Erzählerin wagt den Blick in die Vergangenheit, erinnert sich an ihre Kindheit im Tal der Roten Lackn (unschwer als das oberösterreichische Steyrtal zu entschlüsseln) zurück und knüpft aus den Fäden der vertrauten Schicksale ein Netz von Geschichten.
Es ist die „Grauzone von Hinsehen und Wegsehen“, die typisch ist für die geschilderte dörfliche Gesellschaft in der Rotn Lackn: Schicksale werden am Wirtshaustisch, beim Tratsch mit dem Nachbarn gierig und ungeniert verhandelt und besprochen, wenn es aber brenzlig wird, wenn es darum gehen würde, einzugreifen, sein Wort zu erheben, dann bleibt man ruhig, dann wird weggeschaut. In diese Grauzone ist Steinwendtner getaucht. Dabei tastet sie sich behutsam nach vor, malt kleine, geschlossene Bilder, taucht auf, holt Atem, erzählt in kurzen Absätzen: „Ich breite das Dehnbare der Worte sanft über die Schicksale der Menschen und gehe zurück in ihr und mein Leben.“
Erinnerung ist schwierig, ist schmerzhaft: drei Gehängte und eine Selbstmörderin haben dem Teich den Namen Rote Lackn gegeben, rot gefärbt vom Blut der Toten. Seitdem wird der Teich von der Bevölkerung gemieden. Die Erinnerungsfäden ziehen sich wie eine rote Spur durch das Tal: hier der qualvolle Tod der Schatthofbäurin, dort das Zyankali, das den Schmerz über den Tod des Sohnes auslöschen soll. Hier das wahnsinnige Euthanasieprogramm der Nazis, das vor den psychisch Kranken des sogenannten Narrenturms nicht halt macht, dort die Ehefrau, die sich und ihr Kind ersticht: „Meine Lebenszeit ist die vieler Toter.“
Steinwendtner erzählt vor allem von Frauen, entkommt aber durch ihre avancierte Erzählweise der (vom Feuilleton oft negativ konnotierten) Etikettierung als „Frauenroman“: so einfach macht sie es dem Leser gottseidank nicht. Kunstfertig zeichnet sie einfühlsame, poetische Bilder, die sich doch nah an die geschichtliche Realität, an die Lebenswahrheit der Menschen halten. Zentrales Element in der Roten Lackn ist die Natur: sie ist der Rahmen, die Bühne im schlechten Spiel. Der Vorwurf einiger Rezensenten, in der Naturdarstellung allzusehr lyrisiert und damit ein geschöntes Bild der Geschichte des Tales gezeichnet zu haben, trifft nicht: Gerade die Diskrepanz zwischen der schönen, bewundernswerten Natur auf der einen Seite und dem blutigen Treiben der Menschen auf der anderen Seite erhöht die Wirkung des Romans: Nicht die Natur, sondern der Mensch hat die Lackn rot eingefärbt. Brita Steinwendtner hat die Figuren aus ihrer ohnmächtigen Sprachlosigkeit geholt und ihnen eine Stimme gegeben. Daraus ist ein berührender, ein empfehlenswerter Roman entstanden.