Nicht minder eigenartig ist Max Knoche, der einen 84 Quadratmeter Menschen bastelt. Im Erinnerungskeller der jeweiligen Helden wuchert’s wild, da werden Episodenschneisen geschlagen, um etwas Licht ins Ich zu bringen. Irrlicht(er)? „mich durchschaut niemand“ (S. 21) erwähnt der Ich-Erzähler im Text mit dem kryptischen Titel „A. (M. F. E. T.)“ beiläufig. Undurchschaubar, geheimnisvoll, rätselhaft bleiben und nicht zu viel aussprechen aber viel anklingen lassen, das scheinen die Figuren zu wollen, oder eben nur das zu können – da sie nicht aus ihrer Haut können. Der Lesende wird mit jeder Menge Diagnosen und Medikamentierungen, schneidenden Hinüberscheidungen, ungünstig gebrochenen Nasen und anderen Schäden konfrontiert. Die Vergangenheit der Figuren wird zwar ordentlich verschleiert aber sie entpuppt sich als unzweifelhaft hart und traumatisch.
Das heißt, da wird Vergangenheit verarbeitet, werden Schlussstriche gezogen, Identitäten getilgt. „Je mehr abfällt, desto mehr will mein gesamter Gedächtniskörper abfallen.“ (S. 70) In den Texten geht es um Amnesie und Amnestie, um Metallwannenreinigungen und Passbildautomaten, um Peepshowpodeste, Zahnlaboratorien und Messervertreter, um nur ein paar der vielen auffälligen Wörter respektive Sachverhalte aufzuzählen. Bisweilen erinnert einen der sprachlich originell andersartige, eigenwillig dichte Textwust an Traumsequenzen. „Ich liege erschlagen unter meiner Gedächtnissammlung, vielleicht schlafe ich. Ich reagiere vielleicht nicht.“ (S. 80) Da werden Kabinenspiegel geritzt und Erinnerungserregungen aufgearbeitet. „Lautes, aus dem Körper gleißendes Entgleistes, etwas wie Sprechen. /Ich hebe den behandelten Kopf abrupt aus der Wanne und hetze ihn in die dunkle Vorratskammer. Ich lösche den Durst, den das Blut und die heraus geknechteten Worte verursacht haben, mit der brachen, Knochen bandagierenden Dunkelheit.“ (S. 85)
Im letzten viertel des Buches gibt es dann einen thematischen Twist. Es wird politisch und inhaltlich greifbarer, die Lesenden werden von einer Geschichte über Gender Mainstreaming und einer über Ehevollzug von potenziellen Schubhäftlingen angenehm überrascht. Diese Geschichten funktionieren am besten, der Inhalt ist brisant aktuell, die Sprache extrem am Drücker, verdichtet und so sich selbst entstellend. Hier wird ein bitterböser Humor entwickelt und die Themen sprechen an, machen meinetwegen mehrheitlicher betroffen. Jedenfalls gehen sie über die zwar durchaus packenden aber doch eher individuellen Probleme der vorangegangenen Helden hinaus. Ein starkes Stück ist „(Platons) Ehen“, da schlüpft der Erzähler in die Rolle eines Befehlsausführers und Scheinehenkontrolleurs und führt Gesetzgebung, Bürokratie, gesellschaftliche Marotten, Medienlandschaft, Exekutive und die jeweilige Sprachpraxis gleichermaßen virtuos vor. „Norm-Sex, negativ. Abholen, Ende.“ (S. 120) In Summe ganz und gar keine Normprosa, positiv. Unverhohlen anders, Ende.