#Lyrik

der wandel motzt

Christian Steinbacher

// Rezension von Helmuth Schönauer

Christian Steinbacher ist einer der wenigen Autoren im Lande, die zu den poetischen Glühbirnen auch die entsprechenden Fassungen zur Verfügung stellen, d. h. zu seinen poetischen Texten gibt es auch eine Theorie der Poesie. Ein markanter Satz aus seiner theoretischen Auseinandersetzung lautet sinngemäß, daß die Aufgabe eines Gedichtes durchaus darin bestehen kann, daß es sich dem politischen Alltagsgebrauch entzieht.

Als Herausgeber der bibliophilen und haptisch anregenden Edition Blattwerk verfaßt er zu jedem edierten Werk einen Beipackzettel, der alle poetischen Kontra-Indikationen aufschlüsselt, damit das Werk beim Leser seine volle Wirkung entfalten kann.

der wandel motzt, herausgegeben von Lisa Spalt, ist eine Zusammenfassung der Gedichte und Stücke des Autors aus den letzten zehn Jahren. Bereits am Cover ist ein Element der Steinbacherschen Poesie beispielhaft ausgemalt, die sogenannte „Stauchung“, das Innehalten und Überschreiben eines Wortes, das so lange angehalten wird, bis sich das gesamte Wortfeld neu konstituiert hat. So wird aus dem dynamischen Begriff des Wandels durch Verdichtung ein kompakter Wortklecks, der sich jedoch mit Sinn auflösen und dechiffrieren läßt.

Auch ein simples Hilfsmittel wie das Inhaltsverzeichnis nützt der Autor intensiv, indem er Texte, die zur Aufführung neigen, kursiv setzt. Diese Titel sind offensichtlich als akustische Realisation gedacht, während die übrigen Texte oft von der visuellen Anordnung am Papierfeld die erste Struktur erfahren.

Im hilfreichen Anhang gibt es entscheidende Hinweise zum Dechiffrieren mancher Texte, eine wohlwollende Handreichung der Herausgeberin, ohne die der Leser oft wohl sehr desorientiert dastehen würde. So ist beispielsweise das poetische Stück „BAGUETTE: BEINDUETT AGATHE ODETTE“ eine Folge von alternierend aus Robert Musils Mann ohne Eigenschaften und Marcel Prousts À la recherche du temps perdu stammenden Zitaten.

Die Kapitelüberschriften hat Christian Steinbacher sehr konkret gewählt, „DER JUNGE SPUND“, „REIFER ANFLUG“, „STARK VERKÜRZT“ und „WIE MAN SICH BETTET SO PICKT MAN“ sind einige Denkansätze, die auf den Zustand des Autors während der Produktion als auch auf den Leser während der Inhalation der Texte hinweisen. Die Texte sind einerseits nach strengen Regeln komponiert, im Sinne einer „fraktionierten Destillation“ könnte man davon sprechen, daß nach Abschluß des poetischen Verfahrens die verschiedenen Elemente klarer zutage getreten sind als beim beiläufigen Gebrauch der Sprache, zum anderen ist immer wieder Platz für das Zufällige oder gerade jetzt Virulente, das den Texten beinahe täglich eine neue Aktalität gibt.

Die mathematischen Grundrechenarten, Subtraktion, Vertauschung, „Abrechnung“ und Hinzufügen eines inversen Elementes werden genauso eingesetzt wie die archaische Himmelsrichtung „Wohin?Wo?“ (S. 111)

Ironisch werden auch lyrische Vogeltheorien („SCHWANENFLUG“, S. 95) gestreift, die in einem Entengedicht ihren Höhepunkt finden („ENTENFUTTER“, S. 83).

Für den Leser bleibt viel zu tun, denn die Texte müssen sorgfältig gelesen werden, immer wieder bieten sich neue Lesarten an, Anspielungen können nur erahnt werden und das ausgewählte Sprachmaterial entwickelt zwischendurch eine eigene Bedeutung. Der Wandel motzt ist ein poetischer Zustand, der höchste Erregung und Gelassenheit in sich vereint.

Christian Steinbacher der wandel motzt.
Gedichte und Stücke.
Herausgegeben von Lisa Spalt.
Wien: edition ch, 2000.
115 Seiten, broschiert.
ISBN 3-901015-13-2.

Homepage des Autors

Rezension vom 09.02.2000

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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