#Roman
#Prosa

Königreich der Schatten

Michael Stavaric

// Rezension von Elena Messner

Michael Stavaric, bereits bekannt als Verfasser verspielt-skurriler „Anti-Krimis“, hat einen weiteren morbiden Roman verfasst, der sein Lesepublikum schon mit seinem Cover auf die blutrünstige Stimmung des Textes einstimmt: Einem lesenden Mensch, der sich ein Buch mit dem darauf abgedruckten Romantitel Königreich der Schatten vors Gesicht hält, explodiert der Inhalt dieses Buches mit knallrotem Blut ins Gesicht.

Um Blut (genauer: ums Abschlachten und Schlachten) geht es dann in Stavarics Text auch hauptsächlich – zumindest an der Oberfläche. Zwei Protagonisten stehen im Mittelpunkt der irrwitzigen Geschichte. Da wäre zunächst Rosi Schmieg aus Wien, deren sehnlichster Traum es ist, eine eigene Fleischerei zu gründen. Ein Traum, der mit ihrer in Leipzig eröffneten Metzgerei „Rosi & Schlitz“ auch in Erfüllung geht. Das passende Firmenlogo dazu (von einem Messer durchkreuzte Rose) ist nur eines von vielen Beispielen für den frechen Humor, mit dem der Autor seine Geschichten würzt. Dann folgt der Roman auch noch Danny Loket aus den USA, der nach Europa kommt, weil er beim Herumkramen in den Erinnerungsstücken seines tschechischen Großvaters („Trophäen“ von fünfzig im Zweiten Weltkrieg von ihm getöteten deutschen Soldaten) Lust bekommt, den Spuren des Großvaters nach Europa zu folgen. Irgendwie, irgendwann landet auch er schließlich in Leipzig.

Die Spannung des Romans besteht unter anderem darin, dass eines der Erinnerungsstücke ein Feldpostbrief des Wiener Fleischhauers Schmieg (Rosis Großvater) ist – verfasst an dessen Frau und Tochter. Diesen Brief konnte Großvater-Schmieg nicht mehr abschicken, da er von Großvater-Loket zuvor getötet wurde. Damit sind die Familiengeschichten der beiden Hauptfiguren – für das Lesepublikum nachvollziehbar – von Beginn an miteinander verstrickt, während die Figuren (noch) nichts davon ahnen. Dazu entwickelt der Autor eine weitere Parallele zwischen den beiden Hauptfiguren: Rosi und Danny teilen nämlich ihr Interesse für den Metzgerberuf nicht nur miteinander, sondern auch mit ihren beiden Großvätern, die beide Fleischhacker waren.

Nun wartet das Publikum lesend (und von allerlei blutigen Nebengeschichten davon abgelenkt) auf das Finale des Romans – nämlich die Begegnung von Rosi Schmieg und Danny Loket. Diese findet am Ende auch statt, und zwar in Rosi Schmiegs neuer Leipziger Fleischerei. Aus Sicht der beiden Ich-Erzähler entwickelt sich also zunächst eine sich immer wieder in ihren eigenen Ausläufern verlierende Geschichte, die am Ende in zwei Epilogen aus auktorialer Perspektive zu einem überraschenden Ende geführt wird.

Davor allerdings tobt sich der Autor aus. Nicht zuletzt in Listen, Aufzählungen und Katalogen von Dingen, die erfunden wirken, es aber oftmals nicht sind: die traumhaften 50 glücklichen Momente aus Rosis Kindheit, das seitenlange Programm der „Internationalen Fleischereifachmesse“, die Nennungen von Werkzeugen für Fleischbeschauen, dazu jede Menge kurze Zwischenanekdoten, Märchennacherzählungen, Erinnerungen bzw. Rückblenden, oder auch wiedergebebene Sachbuchartikel zu skurrilen Methoden der Tierschlachtung, all dies lenkt erfolgreich vom versprochenen Höhepunkt ab. Untermalt werden diese Mini-Erzählungen, die die eher lose verbundenen Handlungsstränge unterbrechen, durch poetisch-groteske Zeichnungen von Mari Otberg, die für eine schauerliche Verbildlichung des Erzählten sorgen.

Das Spiel rund um die Themen Schlachten (von Tieren) und Abschlachten (von Menschen) ist bei der Themenwahl naheliegend und wird vom Autor wiederholt aufgenommen – in albtraumhaften Erinnerungen, Halluzinationen zu fleischfressenden Obersturmbannführerinnen oder nacherzählten Kurzanekdoten und Märchen zu Tod und Massenvernichtung. Hier fungieren die in den Text montierten Listen manchmal als irritierende Misstöne, die einem das Lachen im Hals stecken bleiben lassen. Saloppen Tones wird etwa schon zu Beginn des Romans zunächst über die Erfahrungen des tschechischen Großvater-Loket im Zweiten Weltkrieg erzählt. Die nachgereichte Inventarliste des Großvaters (siehe Leseprobe) durchsticht aber plötzlich wie eine spitze Nadel die Leichtigkeit des bis dahin humorvoll Erzählten. Da gibt es dann z. B. zu vier Fotos unter den Erinnerungsstücken nachzulesen:

13. Foto: Hinrichtung, 1941, mit Notiz auf Rückseite („Baumblüte in Serbien“ – das Foto zeigt erhängte Partisanen)
14. Foto: Deutsche Soldaten während einer Hinrichtung, Russland 1941/42
15. Foto: Deutsche Soldaten vor einer Kaserne in Deutschland, mit Notiz auf Rückseite („Mit klingendem Spiel in des Führers Krieg“)
16. Foto: Frau mit Kopftuch watet mit gerafftem Rock durchs Wasser, sie hat das Ufer fast erreicht, Titel: „Die Minenprobe“ (die Frau ist augenscheinlich Jüdin und wird unter dem Decknamen „Minensuchgerat 42“ geführt)…

Dennoch wirken solche Einschübe, so wuchtig sie auch den makaber-witzigen Ton des Textes immer wieder unerwartet kippen lassen, bisweilen etwas konzeptlos in den Text hineingestrickt. Neben den bis zum Schluss eher angedeuteten Fragen nach den Verwicklungen der Figuren in den Zweiten Weltkrieg, oder neben der universaleren  Frage nach dem Tod selbst, werden weitere große „Weltprobleme“ in den Text integriert. Atomverseuchung, Umweltzerstörung, Artensterben, Weltende. Vom Himmel fallende Käfer und ein zusammenbrechendes Verkehrswesen begleiten Lokets Aufbruch und Reise nach Europa. Neben diesen auf Effekt setzenden Themen erlaubt sich Stavaric auch noch eine Satire über den Literatur- bzw. über den Literaturmessenbetrieb. Der Romanteil, der Rosis Entwicklung zur Fleischerin folgt, ist nämlich zu großen Teilen auf der „Internationalen Fleischereifachmesse“ in Leipzig angesiedelt, auf der die junge Protagonistin unterwegs ist, um sich ihren Traum zu erfüllen. Da sticht etwa das „blutrote“ Interviewsofa ins Auge, oder auch die Wahlen zur „Miss Fleisch“ und wahnwitzig anmutenden Diskussionsrunden internationaler Fleischer.

Dennoch ist der Roman keine böse Abrechnung mit dem Literaturbetrieb selbst, genauso wie er keine vehemente gesellschaftskritische Analyse über Naturschutz oder Menschenvernichtung und den Umgang mit dem Zweiten Weltkrieg ist. Er verweigert sich bis zum Schluss einer klaren Einordnung und bietet keine Interpretation seiner selbst an – ganz als möchte der Autor augenzwinkernd sagen: „Like it or not, I did it anyway.“

Wer auf Phantasie und schwarzen Humor gepaart mit Sprachspiel steht, wird auf seine Kosten kommen, sofern er im Hinblick auf eine fehlende stringente Handlung und die manchmal allzu langen Aufzählungen im Text ein Auge zudrückt. Spaß an dem Buch hat, wer sich auf den Spaß einlässt, und die Belohnung sind einige großartig verrückte und äußerst düstere Szenen dieser satirischen Apokalypse.

Michael Stavaric Königreich der Schatten.
Roman.
Mit Illustrationen von Mari Otberg.
München: C.H. Beck, 2013.
256 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-406-65389-6.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 01.12.2013

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.