Autorin Susanne Scholl hat für den Handlungsstrang rund um die Rentnerin Emma eine sehr simple Sprache gewählt, wohl um die Einfachheit dieser Lebenswelt darzustellen. Damit wird die Engstirnigkeit unterstrichen – das ist für die Leser amüsant, aber zugleich aufreibend: Dieses wandelnde Klischee „Emma“ ist kein Klischee, sondern die Personifizierung der Realität. Menschen wie Emma gibt es viele.
Die Geschichte der Emma reißt mit, einen Roman trägt sie freilich nicht. Fundamentaler und wichtiger für dieses Buch ist der zweite Handlungsstrang: die Geschichte der Sarema. Diese Frau kommt aus Tschetschenien und nach schauderhaften Erlebnissen – Krieg und Vergewaltigung – in Österreich in einem Flüchtlingsheim an. Sarema ist eine Frau, die so viel Elend gesehen hat, dass sie gar nicht mehr für sich selbst lebt. Einzig das Wohl ihres Sohnes Schamil scheint sie weiterkämpfen zu lassen.
Susanne Scholl, die für ihre Arbeit als Russland-Korrespondentin bekannt ist, hat ihr fundiertes Wissen in Form der Figur Sarema personifiziert. Dieses Frauenschicksal zu lesen, berührt. Und so wie Scholl es neben die heile Welt der Emma stellt, geht es noch näher. Man möchte Emma schütteln, wenn sie sich beklagt, weil der Enkel Georg Tarik getauft wird und die neue Schwiegertochter den Säugling für ein paar Wochen in die Türkei mitnimmt, während Sarema echte Sorgen hat: Die Abschiebung rückt näher.
Dass Scholl neben dem journalistischen Handwerk auch das schriftstellerische beherrscht, zeigt sie, indem sie die beiden Frauen gekonnt zusammenführt: Nur wenige Tage vor dem Fest der „Nicht-Hochzeit“ zwischen Sohn Hansi und seiner Enime stürzt Emma. Sie wird von Sarema und Schamil gefunden und ins Spital gebracht. Dort hat Hansi die Idee, die Tschetschenin als Pflegerin für Mama zu engagieren. Mit Liegegips ans Bett gefesselt, kommt Emma dieser Frau aus dem anderen Land nicht aus. Zögerlich nähern sie sich einander an und zarte Bande entstehen: Schamil wird für Emma zu einer Art Ersatzenkel und Sarema erkennt in Emma Züge einer geliebten, verstorbenen Tante. Dass die Frauen aber eine tatsächliche Freundschaft leben, so weit kommt es nicht. Denn erst als es zu spät ist, kommt Emma zur Einsicht. Zwar wird sie das Leben der Sarema nie verstehen können – aber vielleicht kann sie akzeptieren, dass ihr eigenes nicht so schlimm ist.
Fazit: Ein gelungener schmaler Band, der einen realistischen Einblick in das Flüchtlingsdasein gewährt. Eine Geschichte, die still und unaufgeregt ist, aber ungemein starke Bilder hinterlässt.