#Roman
#Prosa

Mattelschweiger

Johannes Schmidt

// Rezension von Sabine E. Selzer

Mattelschweiger ist ein einsamer Wolf, ein Verwandlungskünstler, höflich, artig und arglos. Er ist gebildet, sanft zu seinen Freundinnen und diese auch sanft zu ihm, so erfahren wir gleich zu Beginn. Dieser Mattelschweiger ist ein höchst liebenswerter und beliebter Zeitgenosse, der sein Leben genießt und zahlreiche Erfolge in der Damenwelt verbucht. Und er ist – im Gegensatz zu seinem Freund und Wohnungsnachbarn Tschurtschenthaler – „weder tiroler noch ein solcher gerissener“. Mattelschweiger und Tschurtschenthaler ergänzen und vertreten einander vortrefflich.

Wenn ein Roman im Untertitel die Bezeichnung „Schundroman“ trägt, dann wird damit dem Leser zweifelsohne angedeutet, dass es sich hier um alles Mögliche handeln kann – nur nicht tatsächlich um einen Schundroman. Das in der Gegenwartsliteratur so beliebte Spiel mit den Gattungen und Beurteilungskriterien der Kunst ist in eine neue Runde gegangen, und der Autor hat den Leser augenzwinkernd eingeladen, die künstlerischen Qualitäten seines Textes zu entdecken.

Diese literarische Koketterie wird man Johannes Schmidt aber vermutlich gerne verzeihen, denn sie scheint aus echtem, natürlichem Spieltrieb zu kommen, und das Wandeln auf Mattelschweigers Spuren ist ein vergnügliches Unterfangen. Der Protagonist ist Held und Antiheld zugleich: Es scheint ihm alles zu gelingen, aber er tut nichts dafür, er nimmt das Leben leicht und hat es leicht darin, und das Ganze wird leichthin erzählt, als gäbe es nichts Wichtiges oder Ernstes auf der Welt. Männlein und Weiblein leben uns real existierenden Hedonismus vor.

Und das scheint recht gut zu funktionieren. Das Alltagsleben plätschert dahin, und kaum eine(r) kommt zu kurz. Zumindest im ersten Teil des Romans, wo wir dessen zentrale Figuren kennenlernen und Zeuge werden, wie sie ihre Freunde und Freundinnen „kennen- & liebenlernen“. Mattelschweiger pilgert zu diesem Zwecke häufig „in die nahegelegene volkshochschule oder in ein nächstgelegenes fitness studio“, was als angenehmen Nebeneffekt Mens sana in corpore sano mit sich bringt, und unseren Helden stetig seinen Horizont erweitern lässt – in jeder Hinsicht.

So findet er sich im zweiten Teil mit dem Monogamie-versprechenden Titel „mattelschweiger & die freundin“ mit einer Reisegruppe im Süden, wo ihn das Abenteuer, aber letztlich auch Tschurtschenthaler einholt. Hier wird der Plot nun so richtig trivial, um die Gattungsbezeichnung „Schundroman“ nicht vollends Lügen zu strafen: Die Urlaubsliebe oder besser gesagt Urlaubsaffäre mit einer geheimnisvollen Schönen – die ausgerechnet in Italien ihren Anfang nimmt – wird fortgesetzt in einer Villa an der französischen Mittelmeerküste, wo alle Versammelten die gleichen Eigenschaften in sich zu vereinen scheinen: reich und schön.

Und Mattelschweiger muss unglaublich sympathisch und unwiderstehlich sexy sein, dem Eindruck nach zu schließen, den er auf weibliche Wesen überall und immerzu ganz offensichtlich schinden kann; und jede seiner Lieben erfindet den immer wieder gleichen Spitznamen für ihn: süßer Knacki, wegen seines süßen knackigen Hinterns. Im übrigen bleiben anatomische Details und die meisten anderen Einzelheiten der Vorgänge und Ereignisse weitgehend ausgespart und der Text vorwiegend auf einer allgemeinen Ebene. Er zeichnet viele Klischees des Werbens und Umworbenwerdens, durch Austausch von Orts- und Personennamen könnte eine Fülle weiterer Stories entstehen.

So wird der Roman auch von anderen Geschichten durchzogen, die die Figuren einander gegenseitig oder dem Leser erzählen, gespickt allerdings mit bildungsbürgerlichen Anspielungen, die zum Teil wohl verzichtbar gewesen wären. Wir haben’s auch so kapiert, dass es sich hier um den Text eines gebildeten Autors handelt. So müssen etwa Gauguin, van Gogh oder Wittgenstein für Anspielungen herhalten, was zuweilen recht gekünstelt wirkt. Durchaus motiviert und im Geschehen verankert erscheint hingegen die Szene im Umfeld Bert Brechts, wo Schmidt über Fressen, Moral und Unmoral sinniert, um schließlich recht banal zu resümieren: „zuerst kommt doch das fressen & dann erst die unmoral“.

Geschildert wird diese Szene von art lawnik, offenbar dem Alter ego des Autors. Art lawnik kam zu seinem Namen „infolge seiner überragenden doppelbegabungen für kunst & recht“. Die Betätigung in diesen beiden Sparten jedenfalls hat er mit seinem Schöpfer gemeinsam, und ein leichter Hang zur Sprache des Gerichtes ist auch im Text spürbar. Orthographisch davon durch völligen Verzicht auf Groß- und Kleinschreibung und beinahe völligen auf Interpunktion zwar meilenweit entfernt, lassen manche Passagen präziser, unmissverständlicher und zuweilen absichtlich umständlicher Beschreibung eines Sachverhalts aber doch eindeutig den Juristen durchblicken, der anderen sprichwörtlich das Wort im Munde umdreht und sich selbst nach allen Seiten absichert. Ganz im Gegensatz zu Mattelschweiger: der lässt die Dinge einfach auf sich zukommen – immer und für alles offen.

Johannes Schmidt Mattelschweiger.
Ein Schundroman.
Graz: Steirische Verlagsgesellschaft, 2000.
144 Seiten, broschiert.
ISBN 3-85489-029-X.

Rezension vom 09.10.2000

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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