Wie es Schachinger bereits in Nicht wie ihr gelungen ist, die Welt des Fußballs auch weniger Begeisterten und Interessierten näher zu bringen, schafft er es auch jetzt wieder, unkundige Leser:innen und Erziehungsberechtige mit Verständnis und Humor abzuholen: „Tills Eltern haben selbst nie irgendein Computerspiel genug verstanden, um Spaß daran zu haben, oder nie genug Spaß daran entwickelt, um es verstehen zu wollen. Sie sprechen über Computerspiele wie jemand, der nicht lesen kann, über Bücher spricht, und ihre Sorgen unterscheiden sich kaum von den Sorgen derjenigen, die zur vorletzten Jahrhundertwende ins Kino gingen und fürchteten, der Zug könne aus der Leinwand über sie hinwegrollen.“ (36f.) Dass sie die Leidenschaft ihres Sohnes trotzdem unterstützen, spricht für sie; Tills Mutter wird sogar selbst eine begeisterte Candy Crush-Spielerin, weil sie danach besser einschlafen kann.
So glänzend Tills virtuelle Karriere verläuft, so mühevoll gestaltet sich sein realer (Schul-)Alltag, der vom berüchtigten Dolinar dominiert wird, seines Zeichen Tills Klassenvorstand sowie Deutsch- und Französischlehrer und literarische Reinkarnation der sadistischen Lehrertyrannen in der Tradition Heinrich Manns oder Friedrich Torbergs. Ein rigider Lehrplan – „Die drei goldenen Regeln, nach denen er seine Klassenlektüre auswählt, lauten: nichts aus dem zwanzigsten Jahrhundert, keine Übersetzungen und nichts, was nicht als Reclamheft erhältlich ist.“ (17) –, schikanöse Strafaufsätze – „300 Wörter Über das Fußballspielen in geschlossenen Räumen, 250 Wörter Wie man richtig grüßt, 450 Wörter Über das Öffnen und Schließen von Türen. Mit den Jahren steigert sich die Wortanzahl kontinuierlich.“ (14) – und verbale Insultationen machen das Unterrichtskonzept des Dolinar aus, der als der gefürchtetste und strengste Lehrer der Schule gilt. Auch das weitere Lehrpersonal ist nicht gerade dazu angetan, Tills Begeisterung für die Schule zu fördern, sondern wirkt durch die Erfüllung gängiger Klischees wie einem Kuriositätenkabinett entsprungen: Der Turnlehrer der „alten Schule“ sitzt rauchend bzw. später nikotinkaugummikauend auf der Bank, während die Kinder sich selbst überlassen bleiben; der Nachfolger ist dann viel ambitionierter und prompt verletzen sich die untrainierten Schüler:innen beim ersten Hürdenlauf ihres Lebens; und der Musiklehrer hat das Unterrichten überhaupt aufgegeben, er erlaubt den Schüler:innen selbst gewählte Filme anzuschauen und wird dafür im Gegenzug „immer wieder scharf darauf hingewiesen, leiser zu sprechen und nicht im Bild zu stehen.“ (54)
Würde der Roman nicht immer wieder in die Satire kippen, wären die beschriebenen Zustände nur schwer aushaltbar, denn das Zeugnis, das Schachinger dem österreichischen Schulsystem zwischen den Zeilen ausstellt, ist ein vernichtendes. Doch gerade dem Unerträglichen noch eine Pointe abzuringen und scharfe Kritik mit funkelndem Witz zu verbinden, ist Schachingers große Kunst und macht die Romanlektüre zu einem großen Vergnügen. Eloquent, selbstbewusst und humorvoll trifft er genau den Tonfall der bildungsbürgerlichen und wohlstandsverwahrlosten Schnöselpartie. Seine Charakterporträts und Gesellschaftsanalysen sind treffsicher und scheuen keine Tabus; so geht er auch mit der sogenannten politischen Korrektheit nicht immer zimperlich um, sondern hinterfragt sie kritisch, denn es sei „auch Quatsch […], Roma und Sinti als direkten Ersatz zu verwenden, wenn eigentlich nur eine der beiden Gruppen gemeint, man selber aber zu ignorant ist, um zu wissen, welche.“ (184) Mit seiner Erzählung vom Heranwachsen in einer Gruppe privilegierter Jugendlicher zeichnet Schachinger mit viel Wiener Sprach- und Lokalkolorit sowie zahlreichen zeithistorischen Bezügen von Ibiza bis Corona ein sehr hellsichtiges wie ironisches Gesellschaftsporträt. Und außerdem hat er tatsächlich einen immersiven Roman geschaffen, in den man gerne eintaucht und der auch für Jugendliche und als Schullektüre unbedingt empfohlen sei!