#Lyrik

Blech

Gerhard Ruiss

// Rezension von Helmuth Schönauer

Lyrik ermöglicht ja im Detail ähnlich wie Kultur als Ganzes einen höchsten menschlichen Zustand, der sich zwischendurch in Gedichten materialisiert. Diese Gedichte manifestieren sich gleich einem Handwerkzeug zu einem stofflichen Gebilde, das im Idealfall einer Epoche den Namen zu geben vermag, wie es etwa die Bronze-, Stein- oder Eisenzeit gibt.

Wenn Gerhard Ruiss seine aktuelle Gedichtsammlung Blech nennt, spielt er augenzwinkernd auf eine große Epoche an, nämlich die blecherne Zeit. Tatsächlich erklärt das Schlussgedicht pragmatisch, was es mit diesem Blech als Gedicht auf sich hat. „Jedes Blech // kuchenblechklebrig / keksdosenblechbilderbuchbildlich / schmalspurig / schilderblechnamentlich / büchsenblechfleischaufstrich / büchsenblechöffnerinaktiv / einspurig / […]“ (175).

Das Blech eignet sich perfekt als sprachlicher Spurenträger, mit ihm kann man so gut wie alles anstellen. Kunstzeug, Werkzeug, Sprachzeug: nichts ist davor gefeit, dass es in Blech mündet oder von diesem den Ausgang nimmt. In einem sogenannten Beipackzettel weist der Autor darauf hin, dass Blech in jedem Lexikon einen fetten Eintrag auslöst. Von der blechernen Hochzeit, über die blecherne Medaille für den vierten Platz, den blechernen Polizisten zur Verkehrsüberwachung, bis hin zu mehr oder weniger schweren Kulturgütern wie Blechmusik und Blechtrommel ist letztlich alles herausgebacken auf sprachlichem Blech.

Mit seiner Verformbarkeit und Verfügbarkeit eignet sich das Blech bestens für jene Lyrik, die der Autor schon seit Jahrzehnten im Sinn hat. Seine Gedichte fußen nämlich auf drei Säulen: Politik, Poesie des Kleinkrams und Sprache für das Podium. Diese schaffen als echtes Dreibein eine wackelfeste Grundlage für allerhand Experimente.

Die politische Schattierung zeigt sich oft als Lebensweisheit: „mit tragödien / gewinnt man preise / mit komödien / das publikum“ (8). Der poetische Akteur lässt sich kaum vom politischen trennen, denn im Literaturbetrieb vermischen sich zwischendurch die Zuständigkeiten, manche inszenieren sich über das Parteiprogramm, andere über das Schreibprogramm, das nach Preisen schielt. Das Publikum bleibt nicht selten auf der Strecke.

Aber auch harmlose Begriffe, die in Reden eingestreut sind, können plötzlich rebellisch werden, wenn sie in einem Gedicht mit einer tragenden Rolle ausgestattet werden. Der Quotenmann macht sich über sich selbst lustig und hofft, dass er bei der nächsten Postenvergabe oder dem nächsten erotischen Abenteuer berücksichtigt wird. „ich bin der quotenmann / ich komm auch mal dran / es geht ganz gut voran / nur zehn stehn vor mir an“ (75).

An anderer Stelle wird die Abrissbirne ausgepackt, im Villenviertel soll Platz für neue Immobilien geschaffen werden, den lyrischen Beobachtern gefriert beim Zusehen die Seele zu einem Kampfgedicht. (94)

Wenn das lyrische Ich schließlich mit sich selbst in eine Stichwahl muss, liegt eine handfester schizophrener Krach in der Luft. (118)

Das zweite wesentliche Element der Ruiss’schen Lyrik könnte man die Poesie der Kleinodien und des Alltags nennen. Sie tritt auf, wenn ein Zeitloch entsteht, wenn jemand warten muss, oder wenn die Wörter brach liegen in der Stille, sodass sie sich zu einem Vers zusammenschmiegen.

„Durstmacher // so wurde ich zum alkohoiker / beim warten auf die pizza“ (40). Das lyrische Ich verfängt sich bei trivialsten Anlässen in sich selbst oder ist baff, wenn es unbemerkt aus der Welt ausgetreten ist. „du bist gestorben / und ich habe mich schon gefragt: wo bist du? // immer wollte ich dich / wenn wir uns nicht trafen, fragen / und was machst du jetzt so?“ (69)

Die Kultur des klugen Getränks führt verlässlich zu neuen Perspektiven, so hängt jemand aufgespannt zwischen Gefängnismauer und Friedhofsmauer, einmal reißt es ihn noch und er trägt den Kopf straff nach unten wie „durchfahrene überfahrer in trauer“ (93). Und selbst dem schlauen Wienerlied, wonach ein Wein sein wird und wir werden nimmer sein, wird eines besseren belehrt, „wird ein wein sein / und wern mir nimmer sein / säuft sich auch der nicht von allein“ (150).

Das dritte Element im Kosmos des Autors könnte man Podium nennen, damit ist jener Drive gemeint, mit dem Gerhard Ruiss seine Texte immer an die Nähe zur Musik bringt. Viele seiner Texte haben einen Performance-Stil, sie werden in Echtzeit entwickelt und vorgetragen, das Wortspiel steht mit auf der Bühne und die Sprache wird zusammen mit dem Publikum verlässlich erweitert. Für diese Art des Sprachwitzes winkt aus literarisch gesicherter Entfernung zwischendurch H. C. Artmann, dessen Lyrik ja ebenfalls performativ eine ganze Epoche geprägt hat.

In die Kategorie des Sprachspiels gehören jene Zeilen, die „beim eimem“ (30) entstehen, als semantische „winkekatze“ (168) für Bewegung sorgen oder es als „Zeilentauschlied“ (172) mit dem Singsang des Orpheus aufnehmen.

Auch wenn das Blech nicht ständig evoziert wird, so schwingt es bei jedem Gedicht mit, ob die Abrissbirne nun einen Blechschaden entwickelt oder der selbst-kämpfende Politiker Blech redet.

Eine schöne Engführung zum Blech entsteht freilich schon am Umschlag. Hier hat der Südtiroler Künstler Luis Stefan Stecher das Titelbild „Schnecke im Laufrad“ gespendet, in dem sich eine Schnecke einem Hamster ähnlich in einem blechernen Schneckenrad bewegt. Im Innern des Buches wird diese zeitlose Fließbewegung aufgegriffen, indem eine Blechschelle erklingt, die das Wasser des Waals ankündigt, damit sich seine ihm anvertrauten Pflanzen aufs Wachsen einstellen können.

Die Gedichte von Gerhard Ruiss sind komödiantisch und tragisch zugleich, sodass es kein Wunder ist, wenn er Preis und Publikum in Einem gewinnt.

Gerhard Ruiss Blech.
Lyrik der Gegenwart 91.
St. Wolfgang: edition art science, 2020.
177 Seiten, broschiert.
ISBN 978-3-903335-02-8.

Rezension vom 12.06.2020

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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