Die naturwissenschaftlich-literarische und graphisch-photographische Auseinandersetzung mit Bienen, mit ihrer Wahrnehmung (…sie sieht Rot statt Schwarz, Weiß statt Blau, und im Flug besser als in der Ruhelage) und ihrer Körpersprache (ein Sprachballett, eine Art lebendige Schrift) hat etwas Kontemplatives, ist einerseits präzise und sprachlich kräftige Naturschilderung, andererseits philosophischer Exkurs, Spekulation und Wortspielerei. Gerhard Roth lenkt den Blick des Lesers auf etwas, in dem er ein (Ab)Bbild der Welt zu erkennen glaubt:
„Schon bald erkannte ich im Universum, in der Sternenwelt des ’stockdunklen‘ Kosmos, den Meteoriten, den Sternenhaufen, Spiralnebeln, Sonnen und Monden Analogien wieder, die ihrerseits nur eine wendeltreppenartige Fortsetzung aus der mikroskopischen Welt zu sein scheinen. In der Biene zeigt sich am spielerischsten und – wie man trügerischwerweise annimmt – auf die friedlichste Weise das ‚Kosmische Prinzip‘.“
Gerhard Roth zelebriert das Studium der Bienen als Initiation zum Romanzyklus Archive des Schweigens. Als der Imkermeister Zmugg mit seinem Sohn in der Nachbarschaft 40 Bienenstöcke aufstellt, arbeitet der Schriftsteller parallel an einem System der wechselnden Perspektive im Roman, das es ihm ermöglichen soll, Hunderte kleine und größere Geschichten miteinander zu verbinden.
Erwartungsgemäß wendet er sich vorläufig ganz den Bienen zu, studiert deren „kafkaeske Gesetze“ und sieht eines Tages in einem tanzenden, pulsierenden Bienenschwarm, der sich auf dem Imkermeister Zmugg niederläßt, das Schlußkapitel seines Romans: „…Ich begriff, daß mein Buch ein Organismus aus frei fliegenden Zellen wie der Bien sein würde.“ Natur wird für Gerhard Roth zu einem Synonym für „Zusammenhang“, zu einem lebendigen gordischen Knoten, dessen Fäden sich nur mit Gewalt voneinander trennen lassen.
Gerhard Roths Bienenstudien manifestieren sich schließlich in der Romanfigur Franz Lindner, dem anscheinend stummen Sohn des Bienenzüchters, der am Ende des Romans Landläufiger Tod plötzlich ein einziges Wort von sich gibt: „Nein!“. Staunend fragt man sich, ob Franz Lindner nicht ohnehin schon die ganze Zeit sprechen konnte. Um dieses alles-in-Frage-stellende „Nein“ kreist Martin Kubaczeks Essay Das Nein der Sorge, der ebenfalls im Buch enthalten ist und der inneren Befindlichkeit des Stummen ebenso nachspürt wie seiner Funktion im Kosmos des Gerhard Roth.
Die Fotografien von Franz Killmeyer sind einerseits Ergänzung zum Text, andererseits eigenständiges Kunstwerk. Sie dokumentieren chronologisch das Leben des Bienenvolkes vom Schlüpfen bis zum Tod. Ebenso wie Gerhard Roth Vorgänge in der Natur zu komplexen Gedankengebilden entwickelt, fotografiert auch Killmeyer Bienen nicht nur als Bienen: Seine Formen, Perspektiven, Farben senden eigene Botschaften, verleihen dem Buch Sinnlichkeit und stellen Anknüpfungspunkte für individuelle Assoziationen und Gedanken dar.