#Prosa

Zum Abschied vom Vater

Robert Riedl

// Rezension von Susanna Rupprecht

Zum Abschied vom Vater, Robert Riedls Erstlingswerk, erscheint gleich einem schweren Koffer voller Dinge, deren Schweigen gebrochen und alle auf einmal gesagt werden müssen. „Die Sache mit dem Alkoholismus des Vaters und die Sache mit der Dankbarkeit des Sohnes“ endlich auszusprechen, gleichsam eine Sprache gegen die „Sprachlosigkeit des Vaters“ zu finden, ist dabei expliziter Schreibanlaß.

Wer aber eine sich linear-kohärent entwickelnde Geschichte um eine Sohn-Vater-Beziehung erwartet, findet völlig anderes vor: denn diese Prosa, deren Koffer gepackt wurde, um „wegen der Heimreise“ abgereist zu sein, ist ein kunstvolles Geflecht von verschiedenen Wirklichkeiten, Wahrnehmungen, Träumen, Betrachtungsweisen und Infragestellungen dieser. Schon der Untertitel „Die gefälschten Tagebücher des Robert Zivkovich“ steht im Kontrast zum Authentizitätsanspruch des Tagebuchs, umso mehr, als es sich nicht nur um Fiktives, sondern um Gefälschtes handelt. Näher betrachtet jedoch, ist gerade die Fälschung Garant für die enthaltene Kehrseite: Gefälscht werden kann nur ein zugrundeliegendes „Wahres“, und eine gute Fälschung enthält auch den Anspruch, authentisch zu sein. So wird aus einem Stück Leben ein Stück literarische Prosa, und das „Authentisch-Autobiographische“ ist jenes Widersprüchliche, dem ungläubig begegnet wird, das aber gleichzeitig dem Text eine unerschütterliche, nicht weiter reduzierbare Mitte gibt, aus der ein Ich spricht, Bruchstücke seiner Existenz zusammenfügend.

Die Stücke gleichen zerbrochenen Spiegeln zerbrochener Wirklichkeiten, sind aber nicht beliebig zusammengesetzt. Sie folgen, grob skizziert, folgender Partitur: „Ljubljana, am 28. Juli 1991“ ist der erste Tagebucheintrag, der letzte lautet „Krk, am 29. Juli 1991“. Zwischen diesen beiden Einträgen aber wird viel gereist, und durch sämtliche Orts- und Datumsangaben sowie diverse Vorauseinträge und Nachträge ziehen Verbindungslinien wie ein vom Autor entworfenes Gerüstwerk für den Text.

Im ersten Abschnitt, dem „Kriegstagebuch“ des Sohnes Robert Zivkovic, reist dieser im Jahr 1991 von Ljubljana bis nach Dubrovnik und wieder zurück. Währenddessen wird die „aussichtslos provinziell arbeiter- und bauernkleinbürgerliche“ Vaterexistenz beschrieben, teils die Lächerlichkeit in der Tragik des Scheiterns, teils auch die existentielle Traurigkeit des Vaters hervorhebend. In den haßerfüllten Betrachtungen ist immer auch etwas von der Bedrohung der Existenz des Sohnes präsent, die zum Teil an Josef Winklers alptraumhaft kathartische Austreibungsszenen des unheimlich Heimatlichen und traumatisch Individuellen erinnern und die durch den Krieg im ehemaligen Jugoslawien – konkret das kroatische Dubrovnik, 1991 unter Beschuß der jugoslawischen Volksarmee – um eine symbolische Ebene erweitert werden.

Das Füllwerk des Gerüstes nun ist ein dichtes Flechtwerk aus stellenweise sehr langen und verschachtelten Schlingsätzen, die sich um wiederkehrende Bedeutungen oder vielmehr Worte ranken. Die anfänglich ermüdenden Wiederholungen entwickeln bereits nach den ersten Seiten eine eigene Dynamik und lassen etwas vom Antrieb des Textes erahnen, da Riedls Wiederholungen eher den Gesetzen der Variation durch minimale, fast unmerkliche Veränderungen folgen.
Das schwere Sprachgepäck Riedls (mit überraschend originärem Sprachstil) ist zwar nicht immer leicht zu bewältigen, belohnt aber auch mit – teils kopflastigen – poetischen Gedanken und Bildern.

Im Abschnitt „Die Reisetagebücher des Franz Zivkovic“, reist dann der Vater vom Jahr 1992 in das Jahr 1997 und wieder zurück. In diese „Jahrtagesreisen“ ist außerdem eine Hin- und Rückreise von Ljublana bis nach Dubrovnik eingebettet, jene Route, die zuvor vom Sohn im „Kriegstagebuch“ genommen wurde. Dieser Vater, der das Schweigen bricht, ist aber eher ein Vater, den sich der Sohn schreibend erfindet: „Und die großen Siege des Tagebuchschreibers sind die Gesetze namens heilige Verbrechen im Schweigen des Alltags alltäglich zu brechen.“ (S. 74) Zwischen der Reise des Sohnes und der des Vaters sind mehr und weniger deutliche Parallelen zu erkennen – schließlich spiegeln sie einander ja auch, sind eine Person in der anderen.

Wenn es eine Mitte gibt in diesem Buch, dann sind es die mit vielen Assoziationen befrachteten 5. August-Tagebucheintragungen. Der jüngste auffindbare Eintrag, der 5.8.97, ist mit der Angabe „Hier-Nirgendwo“ versehen. Dorthin scheint die Reise „Zum Abschied vom Vater“ zu führen, ein mythischer Ort, der aber von allen Mythen entkleidet sein will, ein Ort des Heimkommens, der Befreiung, der Erkenntnis, des Schmerzes und des Traumes, Ort einer Unmittelbarkeit (wie der Versuch, in ein pochendes Herz einzudringen) und einer Unbewußtheit, Ort einer nicht näher zu bezeichnenden Mitte, Ort eines Augenblicks, der gleichzeitig eine Negation darstellt – Ort eines niemals existierenden „Jetzt“, das letztlich doch nur der Tod sein kann. „Der Weg wird nie das Ziel sein“ (S. 96) schreibt Riedl – und dennoch: „Meine Heimat ist meine Reise, und meine Reise ist die stete Veränderung meines Horizontes.“ (S. 141)

Vielleicht resultiert aus diesem „Hier-Nirgendwo“, das Präsenz und Abwesenheit, Leben und Tod in einem und jedenfalls nicht näher zu bezeichnen ist, auch das Gefühl der permanenten Verschiebung von „Bedeutung“, denn in Riedls Text können die Bedeutungen nicht ruhen, sie werden zumeist durch „Es bedeutet nichts“ oder „Es ist weiter nichts als“ sogleich außer Kraft gesetzt; oder sie werden, angekündigt durch „namens“, mit einem weiteren Wort versehen, als sollte immer wieder eine neue Bezeichnung vor das Bezeichnete geschoben werden.

Gegen Ende des Textes aber erscheint unvermutet ein Ich, das sich mit beliebig zusammengewürfelten Erklärungen, Erkenntnissen („Leben ist ein tägliches Versteckspiel mit dem Sinn dieses Versteckspiels“, S. 161) und einer kleinen Poetik präsentiert („so ist mein Leben. […] nicht nur das, was ich sage zu sagen, sondern immer etwas anderes, eben das, was sich für mich nie sagen läßt“, S. 167), gleich einem Auftauchen aus einer Traumlandschaft – wie ein Bekenntnis, das keines ist, und wahrscheinlich auch keines sein will: nur ein Verrücken des Spiegels.

Robert Riedl Zum Abschied vom Vater.
Prosa.
Graz: Steirische Verlagsgesellschaft, 1999.
176 S.; brosch.
ISBN 3-85489-024-9.

Rezension vom 10.05.2000

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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