Christoph Ransmayr sollte für die Salzburger Festspiele eine Auftragsarbeit liefern, ein Drama. Doch der Autor, kein schneller Schreiber, haderte mit seinem Theaterstück, und es wurde nicht rechtzeitig fertig. So zog man einen Ransmayr-Text aus den Archiven, um den Autor wenigstens mit einer szenischen Lesung zu feiern.
Dieser Text hat den schönen Titel Strahlender Untergang und den weniger schönen Untertitel Ein Entwässerungsprojekt oder Die Entdeckung des Wesentlichen. Er erschien 1982 bei Christian Brandstätter. S. Fischer zögerte nicht angesichts des nach wie vor beträchtlichen Renommees der Salzburger Festspiele und ehrte den Strahlender Untergang mit einer Neuauflage.
So kam’s, dass ein Mann erneut seinen Tod in der algerischen Wüste findet. Er stirbt, nachdem Christoph Ransmayr eine kafkaeske Welt heraufbeschwört hat, in der sich eine absolutistische, eine mörderische Macht, die sich die „Neue Wissenschaft“ nennt, auf die Menschen stürzt. Sie baut mit unermesslichem Aufwand „Terrarien“ in die Wüsten, in denen die todessüchtige Opfer ihr Ende finden sollen.
Der Strahlende Untergang beginnt mit dem Bau eines Terrariums. Wüstenraupen und Lastwagen bahnen sich den Weg durch unwirtliches Gelände; Arbeiter errichten ohne ihr Wissen ein 70m großes Grab. Sie glätten die Wüstenei zu einem perfekten Sandquadrat und fassen es mit unüberwindlich hohen Aluminiumwänden ein. In diesen hermetisch abgeschlossenen, „künstlichen“ Versuchsraum dringt nur die Sonne ein; sie jedoch ungehindert.
Nach Beendigung der Bauarbeiten wird der erster Probant unter wissenschaftlicher Aufsicht im Gelände ausgesetzt. Er stirbt folgerichtig.
In formvollendeter Sprache schildert Christoph Ransmayr die akribische Lust am Detail, mit der die exakten Neuen Wissenschaftler ihre Terrarien planen: Ort, Größe, Material – alles ist bis ins Kleinste überlegt. Nichts wird dem Zufall überlassen.
Im zweiten Teil der Geschichte hält einer der Neuen Wissenschaftler ein Plädoyer für das Wüsten-Projekt. Ransmayr verleiht ihm die verführerische Rhetorik des begabten Demagogen, doch: die Rede bildet eine Antiklimax im Strahlenden Untergang. Während die ästhetische Monstrosität des Terrariums, vor allem die Einfachheit seiner Konstruktion, unweigerlich fasziniert und die Gedanken eines Sterbenden im Schlussteil ein literarisches Meisterstück darstellen, bleibt die Verteidigungsrede des Neuen Wissenschaftlers hohltönend. Er spricht gut, stellenweise brillant, seinen Ausführungen fehlt jedoch die magische Beschwörungsformel des Rattenfängers, der seine Opfer freiwillig ins Wüstengrab zwingt.
Und doch passiert genau dies, schreibt Christoph Ransmayr. Die Terrarien werden zum durchschlagenden Erfolg. Die Städte leeren sich, es folgt ein gewaltiges Sterben.
Am Ende will es auch der Autor wissen. Er besucht einen der Ausgesetzten, betrachtet seine letzten Gedanken. Schrecklich schön ist dieses Sterben und vollkommen sinnlos. Ransmayr gelingt jetzt, was ihm bei seinem Redner missgeglückt ist. Er schildert den sinnlosen Tod mit einer poetischen Kraft, die ihm den Schrecken nimmt. Berückend, ja unwiderstehlich ist die Hingabe des Verlassenen an das Jenseits. Das Sterben wird schön.
„Dreimal
taucht eine glänzende Metallwand auf
und fließt über
in den flimmernden See
einer Luftspiegelung,
die dicht über dem Boden
das Blau des Himmels
unruhig zusammenfaßt
und vor jeder Annäherung
ins Verschwinden zurückweicht.
Keine Wand mehr.
Kein See.
Der Himmel ist weiß.“