Im I-Acter VILLINGERS KINDER sind Handlung und Sprache erstaunlich realistisch bis zu einer beinahe Thomas-Bernhardschen Kargheit vorgegeben. Ab und zu löst ein Schlüsselwort freilich noch einen Prantlschen Assoziations-Anfall aus, während sich im gesamten Stück die Mehrdeutigkeiten der Begriffe in Grenzen halten und beim Leser am ehesten durch die eigentümliche Schreibung der zusammengesetzten Substantiva gewollte Nebenbedeutungen auslösen.
„Man kann nur zweiteilen! Es kann nur eine HerrenRasse und eine SklavenRasse geben. (Pause) ÜberMenschen & UnterMenschen. (längere Pause).“ (S. 102)
Der Plot des Stückes besteht darin, daß sich der ehemalige NS-Eugeniker Villinger bei Innsbruck ins Gebrige zurückzieht, um seinen Prozeß vorzubereiten, in Wirklichkeit aber den Freitod im Sinn hat. Der Hüttenwirt lebt vom Vergessen und seine drei Kinder sind sowohl übernatürlich gesund (Alfons) als auch jähzornig (Susanna) oder gar das Klotz am Bein (Lydia). Lydia hat sich nämlich ein Bein abgefroren, und es stellt sich die Frage, ob es nicht besser wäre, sie im Sinne der Nazi-Ideologie von ihrem Leiden zu erlösen.
Das Stück besteht aus neun Szenen, und Egon A. Prantl hat jeder Szene eine Inhaltsangabe und die wichtigsten Gedanken vorangestellt, was Schauspielern und Lesern in durchaus angenehmer Weise Platz verschafft für eigene Zusatzbemerkungen.
„Scene 8 (Die Nicht-Toten Kinder)“ etwa hat als Überkopf die Angaben vorangestellt:
„?1 Villinger = DIE ELITE
2 Der Wirt = DIE MASSE
3 Die Formel
4 Die Obszönität anSich
5 Born to be wild
6 Tribunalität“
An diesem Beispiel läßt sich die Arbeitsweise Egon A. Prantls nachvollziehen. Dramaturgische Spickzettel, begleitende Stimmungsmusik, Headlines, Schlagwörter, Vorsätze und Absichten sind im Buch mit berücksichtigt und ergeben eine eigene Form des Lesetheaters. Der Autor schreibt nicht nur für die Bühne, sondern auch für Leser, die sich ihre Bühne selbst zusammenbauen.
Nach der Exposition, in der Villinger sein Eugenik-Programm vorstellt und verteidigt, während der Wirt es mehr österreichisch mit dem Vergessen hält, kommt es im Sturm des Gebirges zu einer inneren Zuspitzung, bis die drei Kinder schließlich in den klassischen Rollen Verteidiger, Staatsanwalt und Richter (Geschworene) über Villinger zu Gericht sitzen. Villinger stellt sich schließlich der Naturgewalt.
Und was sagt die Theatermoral? „Moral? Die Moral liegt jenseits des Menschseins – Ruhe …“ (S. 135)
Egon A. Prantls Theaterstück läßt trotz der straffen Handlung und der eindeutigen Positionen der Figuren für Zuschauer und Leser viele Spielzüge offen. Vor allem die Auseinandersetzung der Enkel-Generation mit dem unsäglichen Stoff ihrer Großväter läßt die Diskussion über Schuld und Verzeihen abseits abgewalzter Gesprächspfade zu.
Leser, die am Mythos des Gebirges und der unheilvollen Wirkung Innsbrucks in der Literaturgeschichte interessiert sind, werden hervorragend bedient.