Formal sieht das so aus: Jeder Buchstabe – von A bis Z – hat drei Auftritte, d. h. zu jedem Buchstaben des Alphabets gibt es drei Gedichte: das i in „der ingrimm“, „der instinkt“, „ein irrgarten“, das p in „unter einer pergola“, „plötzlich“, „das liebend paar“ usw. Ein kleines Beispiel – der Ingrimm „eine unwägbare größe / sie sei jedem gewährt“ -, zeigt, daß Pock auf ihren Spaziergängen durch das Revier der Sprache die „Hundekette“ der Wörter gerne lange hält. Auch altmodische, im gesprochenen Deutsch kaum mehr präsente Wörter finden Eingang in ihre Gedichte, und mit besonderer Vorliebe schlägt die Autorin Brücken zur griechischen Götterwelt und zur deutschen mittelalterlichen Dichtung. Etwa „die zahl 3“ lässt sie an „den zwist zwischen hera / aphrodite / und athene […]“ denken.
Unvermutet kommt das Denken aber wieder recht modern daher, geht es um die Ehe als gesellschaftliche Norm – „das jawort / gegeben / zur erweiterung des eigenen bestands / wie zur höherstufung im gesellschaftlichen rang“. Oder „der doppelgänger“ führt ein zweifaches Dasein als „liebender ehemann“ und „streunender junggeselle“. Um die Liebe geht es des öfteren, ohne daß man davon allerdings einen roten Faden ableiten könnte, memento mori klingt an und steht neben ganz Alltäglichem, mitunter sogar Banalem. Manchmal wird ein Wort erklärt, oft dient es einfach als Anlaß, als erster Stein für einen Gedankengang.
Die Gedichte sind im Grunde sehr deutlich, sie sind nicht unbedingt kompliziert verrätselt, obwohl verschiedenste Wortfelder aufeinandertreffen, die im „wirklichen Leben“ nicht unbedingt zusammenfänden. Rosa Pock bezieht sich in ihren Gedichten ohnehin lieber auf andere Literatur, zur Liebe etwa gesellt sich die Kabale. Vielleicht auch deshalb die eigentümliche, aber interessante Mischung aus dem Blick zurück in alte Sprachreviere, verbunden mit einem Tonfall und Denken, die durchaus Elan von heute vermitteln.
Man hat den Eindruck, Rosa Pock liegt viel an der Balance, Gedanken und Wörter ineinander zu verschachteln und damit neue Zusammenhänge aufzuzeigen, zugleich aber sehr kommunizierbar und nachvollziehbar zu bleiben. Ihre Gedichte kann man auch als kleine, zwar vom abstrakten Begriff ausgehende, aber doch zahlreiche anschauliche Bilder evozierende Miniatur-Erzählungen lesen. Sie gehen vom Allgemeinen zum sehr Konkreten und sind gleichzeitig kleine Erklärungsmodelle und/oder Wortgebrauchsanweisungen. Sie zeigen auch, wie man die Sprache zwar an die Leine legen kann, ihr aber trotzdem genügend Auslauf läßt.