#Roman

Bildstill

Georg Petz

// Rezension von Emily Walton

Nirgendwo sonst ist der Mensch dem eigenen Denken so hilflos ausgeliefert wie im Stau: Umgeben von Autos gibt es kein Vor, kein Zurück, kein Links, kein Rechts. Eine Situation, die beklemmend wirken mag, insbesonders dann, wenn einen die Vergangenheit einholt. Und sich Fantasien über die Wirklichkeit legen .

Georg Petz, Jahrgang 1977, beginnt seinen neuen Roman mit einer Stauszene: Der Schriftsteller und Anglist Matthias sitzt in seinem Wagen auf der Tangente fest – auf dem Weg zu einer Feier im ersten Bezirk, bei der sich die Künstlerszene trifft. Der Architekt Harald lädt ein, um mit seinen neuen Räumlichkeiten zu protzen. Matthias wurde allerdings nicht vom Gastgeber selbst, sondern von dessen Partnerin Saša eingeladen. Saša – seine ehemalige Schülerin und Studentin, die sich zu ihm hingezogen fühlt.
Im Stau schleichen sich Matthias‘ Gedanken an ihn heran: Er denkt an Saša; er denkt an Sophia, seine aktuelle Partnerin; er denkt an das neue Buch, das sein Verleger von ihm verlangt.

Petz verwebt und verwischt seine Stränge, führt mit erzählerisch flottem Tempo den Leser an Bilder und Orte heran, um dann jäh eine Zäsur zu setzen: Der Moment des Stillstands tritt ein. Eine beengender Moment, in dem sich die Figuren mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen. Verdrängtes kommt an die Oberfläche, Illusionen werden von der Realität verdrängt, die wiederum in der Geschwindigkeit des Alltags verschwindet. Aber im Stillstand – während der Held auf der Autohupe lehnt, plötzlich selbst daran erschrickt – kommt auch Kreatives.
Er beginnt an seinem Buch zu arbeiten, setzt sich damit auseinander, wie der gute, moderne Roman zu sein hat. Wie sich Literatur nicht mit einem gewinnorientierten Markt vereinbaren lässt.
Es ist eine Welt der Imperative, in der sich die Protagonisten durchschlagen müssen: Sei produktiv, mobil, sexy. Verwende in deiner Schreibe nicht zu viele Metaphern. Fessle den Leser in den ersten Sekunden.

Petz, der auch Redaktionsmitglied der Literaturzeitschrift Lichtungen ist, greift zudem das Thema der Vergänglichkeit auf. Er spricht die Schnelllebigkeit, das Ausgeliefertsein an. Und freilich übt er auch Gesellschaftskritik. Zu spüren ist die ungeheure Sehnsucht des Individuums nach Ruhe. Einem Stillstand, mit dem er aber nun – im Stau –nicht umgehen kann.
Die Figuren treten in den Vordergrund, verschwinden über Passagen, wandeln und entwickeln sich. Ein ständiger Perspektivenwechsel. Ein Labyrinth der Beziehungen entsteht im Kopf des Lesers. Rund um seine Figuren konstruiert Petz eine Dreiecksbeziehung. Mit schlichter Sprache und Aussparungen erzeugt der Autor eine erotische Spannung.

Petz, der mit diversen Stipendien und Preisen ausgezeichnet wurde, ist kein Autor, der kurzweilig unterhält. Dazu ist seine Sprache zu verschachtelt, zu komplex, dabei aber gewählt und gut. Langatmige Passagen werden durch sprachlich geschickte, sehr bildhafte Sequenzen wieder gut gemacht.

Georg Petz Bildstill
Roman.
Graz: Leykam, 2011.
270 S.; geb.
ISBN 978-3-701177-62-2.

Rezension vom 28.11.2011

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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