#Prosa

Bibliotheca Alexandrina

Dine Petrik

// Rezension von Astrid Reupichler

Unterwegs auf Weltwunderboden.

Weltwunderboden, so nennt die Autorin Dine Petrik jene Stadt, in der einst die mächtige Bibliothek gestanden hat, die wahrscheinlich an die 700.000 Schriftrollen beherbergte und vermutlich im Jahr 270 vor Christus von den „Kriegshorden“ der Fürstin Zenobia von Palmyra zerstört wurde. Wenig ist sicher, fast alles ist Frage, Vermutung, Spekulation.
Die Protagonistin, eine ägytophile österreichische Reisende, führt uns in einem kleinen Tagesspaziergang durch die Stadt, während sie uns auf einen großen virtuellen Streifzug durch die bewegte Geschichte Alexandrias und Ägyptens mitnimmt.

Kurz, sprunghaft, manchmal fast salopp, oft auf einzelne Adjektive und Partizipien verkürzt ist der Erzählstil Dine Petriks, der Unruhe, Wissensdrang und Neugier der Besucherin widerspiegelt. Sie setzt damit einen Kontrapunkt zur „Trägheit“ des Orients, zum Alter, das in den Ruinen und Überresten, den Mythen und Legenden lagert. Es ist ein atemloser Ritt durch die Jahrhunderte und Jahrtausende, der auch von den LeserInnen einige Wendigkeit verlangt.

Der Weg, auf dem wir der Erzählerin folgen, beginnt auf der Brücke der neuen Bibliotheca, einem Bau, der 2002 fertig gestellt und eröffnet wurde und der mit seinen Dimensionen der uralten ägyptischen Baukunst und ihren gigantischen Ausmaßen alle Ehre macht.
Ein Symbol soll sie sein, diese Bibliothek, ein Symbol für Vernetzung und Verständigung, eine Verbindung zwischen Osten und Westen, zwischen Tradition und Moderne.

Auch Dine Petriks Buch unternimmt den Versuch einer solchen Vernetzung. Einer Vernetzung von Geschichten und Geschichte, denn „Alles läuft hier über älterem Boden. Alles ist voll mit Linien und Brüchen, mit Knoten und Grenzen und Auslassungen.“ (S. 87)
Von der Gründung der Stadt durch Alexander den Großen erzählt der Text und von der Ptolemäischen Ära, die 3 Jahrhunderte dauerte, in der die alte Bibliothek erbaut wurde und die griechische Wissenschaft ihren Höhepunkt erreicht hatte, die aber nur eine kurze Weile in Anspruch nahm, verglichen mit jenen 26 Dynastien, die zwei Jahrtausende über das Land am Nil herrschten.

Mehr als die rechtmäßigen ägyptischen Pharaonen interessieren die Autorin jene, die hierher kamen, eroberten, zerstörten, stahlen und in Besitz nahmen, oder sich selbst (wie Alexander) zum „Sohn Amons“ ernennen ließen. Sie erzählt von Kleopatra, der letzten ptolemäischen Pharaonin und Geliebten Cäsars und Marc Antons. Von Octavian, der nach Marc Antons Tod Alexandria zur römischen Provinzstadt, die Ptolemäer zu römischen Bürgern machte und den Ägyptern alle Rechte nahm, von Napoleons Niederlage gegen Admiral Nelson, aber auch von den Raubzügen europäischer Forscher. Alle holten sich aus den Kornkammern und aus der Erde, aus den prachtvollen Gräbern, den Überresten der Monumente, was sie wollten…

Im Laufe der Erzählung wird der besondere Charakter Alexandrias klar, einer Metropole, die sich von anderen ägyptischen Städten unterscheidet, da sie seit jeher stark durch europäische Einflüsse geprägt wurde. Ein Schmelztiegel der Zeiten und Kulturen zugleich.
Die Beschreibung des heutigen Alexandria, welche immer wieder durch historische Einschübe und Reflexionen unterbrochen wird, ist durchdrungen von der feuchten und säurehältigen Luft, die Monumente und Menschen gleichermaßen angreift, und dem alles durchfegenden Wind. Der Wind ist drängend und scheint während des Stadtrundgangs ein Eigenleben zu entwickeln, führt und schiebt die Protagonistin schließlich wieder zurück an den Osthafen „einmal mehr an den Ausgangspunkt. Fluchtpunkt? Schlusspunkt? Niemals, sage ich.“ (S. 86)

Unser Spaziergang dauert von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang und führt von der Bibliothek über die Uferpromenade, durch das Zentrum Alexandrias, wieder zurück zum Eingang der Bibliothek, imaginär reisen wir von Alexander, den Ptolemäern, Römern, Osmanen, der Englischen Kolonialmacht, bis zu Nasser und ins gegenwärtige Ägypten, um schließlich am Ende wieder zu jener Steinfigur zurück zu kehren, die den Eingang der Bibliothek bewacht und wahrscheinlich Ptolemäus II Philadelphus darstellen soll, den Gründer der alten Bibliothek.

Dine Petriks Buch ist Reisebeschreibung und Liebeserklärung an Ägypten im Allgemeinen und Alexandria im Besonderen, ein Schwelgen in Geschichte und vielerorts auch ein Spekulieren. Fragen nach dem Standort der alten Bibliothek, Kleopatras Hafen und den vielen untergegangenen Monumenten und Schiffen werden aufgeworfen und die ewig unbeantwortbare Frage „Was wäre gewesen wenn?“ Die Ich-Erzählerin kommt ins Fantasieren, wenn sie etwa über die Handlungsmotive, Gefühle und Ambitionen Kleopatras nachdenkt. Gerade diese persönlichen Emotionen, Gedanken und Mutmaßungen machen die Geschichte, welche eine Handlung im eigentlichen Sinn entbehrt und sich „nur“ aus Umgebungsbeschreibungen und Assoziationen geschichtlicher Ereignisse zusammensetzt, sympathisch und selbst für Unkundige und Laien auf dem Gebiet der Ägyptologie interessant und lesbar.

Auch der Erzählerin erschließt sich das Geheimnis dieser Stadt nicht ganz. Zurück bleiben viele noch offene Fragen, eine „Mordsgrippe“ und die Liebe zu dieser im Schatten der großen Touristenströme blühenden Stadt.

Dine Petrik Bibliotheca Alexandrina
Reisebericht.
Wien: Sonderzahl, 2005.
109 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 3-85449-229-4.

Rezension vom 18.01.2006

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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