Heute wird sie als eine der bedeutenden österreichischen Lyrikerinnen der Nachkriegszeit bezeichnet und in einem Atemzug mit Ingeborg Bachmann genannt. Zu ihren Lebzeiten stand sie am Beginn einer literarischen Laufbahn, die vielversprechend begann, aber jäh endete: Hertha Kräftner beging 1951 mit 23 Jahren Selbstmord.
Das Werk, das sie hinterließ, ist schmal – Lyrik, Prosaskizzen und -fragmente, Tagebücher und Briefe. Im Laufe der vergangenen 46 Jahre wurde es in drei Ausgaben gesammelt veröffentlicht, einzelne Texte erschienen verstreut in Anthologien und Literaturzeitschriften.
Hertha Kräftner trat für eine absolute Subjektivität in der Dichtung ein: „Jedes Seelenbild ist auch ein Weltbild“, schrieb sie in einem Brief an einen Freund. Sie zog keine Grenze zwischen Leben und Schreiben, und so öffnet sich ihr Werk vollständig auch nur demjenigen, der bereit ist, sich mit ihrer Biographie auseinanderzusetzen.
Dine Petrik versucht also, Hertha K. nachzugehen, der „inneren Befindlichkeit eines jungen Menschen in seinem letzten Lebensjahr“ (die Autorin über ihren Text) nachzuspüren und auszusprechen/aufzuschreiben, was jene nie ausgesprochen/aufgeschrieben hat, aber vielleicht ausgesprochen/aufgeschrieben haben könnte. Sie borgt sich der Dichterin Sprache, schlüpft in ihren Körper und schreibt weiter, wo die Aufzeichnungen der Dichterin abbrechen.
Es entsteht ein erweitertes Bild der erhalten gebliebenen Texte und Aufzeichnungen aus den letzten Lebensmonaten der Hertha K., ein widersprüchliches, flirrendes Spektrum von Eindrücken, Erlebnissen und Rückblenden, das sich zu einem schrecklichen Höhepunkt verdichtet und dort abbricht.
Dine Petrik hat in ihrem Text versucht, Hertha K. das Unaussprechliche aussprechen zu lassen – die traumatischen Ereignisse am Ende des Krieges, Vergewaltigung – und ihr so eine neue Stimme zu geben. Dies erfordert Einfühlungsvermögen, Stilsicherheit, einen „korallenroten Faden“ – den sie über weite Teile auch in Händen hält. Ob es ihr damit jedoch gelungen ist, die Dichterin Hertha K. aus einem anderen, weiblicheren, ihr angemesseneren Blickwinkel zu präsentieren als so viele männliche Kollegen vor ihr, erscheint fraglich. Hertha K. kann sich nicht mehr wehren, und auch in den „Hügeln nach der Flut“ findet sich letztendlich keine Antwort darauf, was wirklich mit ihr geschah.