#Roman

Putzt euch, tanzt, lacht

Karin Peschka

// Rezension von Holger Englerth

Während zu Beginn des Lebens die Lebensschere noch weit offen steht, schließt sie sich im Laufe der Jahre immer mehr, bis … nun ja. Die Figuren in Karin Peschkas neuem Roman sind diesem Schlusspunkt deutlich näher als dem alles verheißenden Beginn. Wenn die Optionen immer weniger werden, wird die Frage umso dringlicher, was jetzt noch möglich ist.

Die Erzählerin Fanni ist dabei eine Art Katalysator für die anderen und für sich selbst. Ihrem Ausbruch aus der scheinbaren Unausweichlichkeit eines festgefahrenen Lebens ist der Prolog gewidmet: „Ich war nicht zur Therapie erschienen, zum vereinbarten Erstgespräch. Ich war einfach weitergefahren, hatte mich – im Wortsinn – unbemerkt von und aus meiner Familie entfernt.“ (S. 9) Mann, Haus, die erwachsenen Kinder und ihre sichere Anstellung im Supermarkt, all das lässt Fanni hinter sich. (Die Namensgleichheit mit der Protagonistin aus Peschkas zweitem Roman „Fannipold“ (2016) ist vielleicht eine Art Wiedergutmachung, hat die Autorin dieser ersten Fanni doch wirklich arg mitgespielt).

Dass ihr Fehlen zunächst nicht auffällt, zeigt, dass in der Familie von Fanni die Abschiede wohl schon zuvor stattgefunden haben müssen. So schreibt ihr der Sohn: „Hallo Mutter, das Baby kommt bald, falls du es kennenlernen möchtest. Deine anderen Enkel scheinen dich nicht mehr zu interessieren.“ (S. 13) Auf den ersten dreißig Seiten des Prologs entwickelt Peschka in konzentrierter Dichte eine Stimmung der Verlorenheit, in der unter der oberflächlichen Ruhe Konflikte mit knappen Worten ausgetragen und harte Entscheidungen getroffen werden.

Für den Rezensenten hätte der ganze Roman so weitergehen können, aber Peschka startet nach dem Prolog zunächst einmal neu durch: Einige Jahre später hat sich für Fanni derartig viel geändert, dass die LeserInnen zunächst gar nicht sicher sein können, ob es sich um dieselbe Person handelt. Sie befindet sich zusammen mit einer Gruppe neuer Figuren, die auf wenigen Seiten in atemloser Folge neu eingeführt werden, auf einer Berghütte namens „Schutzhaus der Accursia“. Diese Wendung wirkt zunächst desorientierend, ist aber zweifellos erzählerische Absicht, denn jeder dieser Menschen gewinnt im Laufe des Romans an Profil und Tiefe. Die LeserInnen teilen durch diese Erzählanlage die Erfahrung Fannis, sich in der Unübersichtlichkeit nach der Aufgabe des Vertrauten neu orientieren zu müssen. Mittels Vor- und Rückblenden erzählt Peschka von den Beziehungen Fannis etwa zum frühen Schwarm und verlässlichen Freund Ernst oder zum schon etwas müde werdenden Bikerrebellen Velten. Dabei bleibt Fanni zwar im Zentrum der Erzählung, die anderen Figuren werden von Peschka dennoch sorgsam in ihr Recht gesetzt, niemand bleibt bloße Staffage oder dient ausschließlich der Profilierung der Hauptfigur – wobei den weiblichen Heldinnen deutlich mehr Raum zukommt. Es liegt an der etwas versponnenen, aber höchst effektiven Ärztin Tippi, Fanni zu einem lebbaren Umgang mit ihren Panikattacken, die ausgesprochen nachvollziehbar beschrieben werden, zu verhelfen. Immer deutlicher wird dabei, dass Fanni zwar mit aller Selbstverständlichkeit für andere da zu sein hatte, ihre eigene Existenz aber nie etwas Selbstverständliches war. Das Erzählen wird für Fanni damit zu einem Prozess der Selbstversicherung, aber auch der freien Wahl ihrer Beziehungen – und gleicht damit der Struktur des Romans selbst. Sowohl Fanni als auch der ganze Text verweigern sich nicht ohne Grund einem schlichten „Eins nach dem anderen!“ (S. 101).

Nicht so sehr die Handlung treibt den Roman voran, sondern vor allem die Beziehungen der Figuren zueinander, die sich mit Zärtlichkeit, Witz und Achtsamkeit entwickeln. Dass es der Autorin auch mit dieser Geschichte gelungen ist, mich zu Tränen zu rühren, will ich da gar nicht verschweigen. Jedes Mal, wenn der Eindruck aufkommt, eine Figur verstanden zu haben, fügt Peschka eine Facette hinzu, die sie in ein neues Licht taucht. Zum anderen ist es aber auch wieder die Sprache, die das Lesen zum einzigartigen Vergnügen macht. Dass Peschkas Romane im österreichischen Otto Müller Verlag erscheinen, ist da insoferne ein Glücksfall, als es in ihnen in einem Ausmaß österreichert, wie es ein deutscher Verlag wohl kaum zulassen würde. Damit ist keine dialektale Volkstümelei gemeint, sondern ein Sprachduktus, der Umgangssprache ernst nimmt. Verkürzungen und Lücken werden zugelassen, da damit manchmal mehr zu sagen ist, als wenn alles bis ins Letzte ausbuchstabiert wird. Ironie und Tragik fallen da oft in eins. Peschka interessiert weniger der lyrische Vergleich, sondern was ihre Figuren ganz konkret tun. Und auch das, was ihnen angetan wurde.

Nachdem in ihrem letzten Werk „Autolyse Wien“ (2017) die Apokalypse bereits geschehen ist, darf in Putzt euch, tanzt, lacht wieder etwas mehr Hoffnung geschöpft werden (auch wenn die dezenten Sci-Fi-Anspielungen etwas beunruhigend wirken). In dieser Hinsicht ist der neue Roman von Karin Peschka von größerer Leichtigkeit als die vorangegangenen. Es müssen nicht immer Katastrophen geschehen, um Menschen in der Literatur Wert zuzusprechen und ihnen mit jener Achtung und Zuneigung zu begegnen, die Karin Peschka mittels ihrer ganz eigenen Art zu schreiben beweist. Dass sie ihren schon etwas älteren Protagonisten auch noch den jungen Wilden Arthur Rimbaud mit auf den Weg gibt, ist ein weiteres Geschenk an ihre Figuren und ihre LeserInnen.

Karin Peschka Putzt euch, tanzt, lacht
Roman.
Salzburg, Wien: Otto Müller, 2020.
309 S.; geb.
ISBN 978-3-7013-1274-0.

Rezension vom 28.02.2020

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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