Als Leser sollte man von zu großer Fiktionserwartung Abschied nehmen, denn Ziel dieser Kranich-Erzählung ist es, eine Geschichte knapp an der Gegenwart mit sagenhaften Elementen vorzuführen. Im „mythischen Valangatal, halb deutsch, halb rumantsch“ erlebt der Bergbauernsohn Raetho Klammsteiner zusammen mit seinen wenigen Talbewohnern das Jahrhundert in scherenschnitt-scharfen Abläufen. Das Jahrhundert kommt in prägnanten Schlagworten vor: Schmuggler-Leben, Einzug der Faschisten, Krieg, amerikanische Gefangenschaft und Heirat mit einer Afro-Amerikanerin sind die Begriffe aus dem Klappentext, die durchaus auf viele Südtiroler zutreffen, wenn man von der außergewöhnlichen Ehe absieht.
Die Geschichte des Jahrhunderts wird in kleine Stoßseufzer zerlegt und die einzelnen Sätze fügen sich in minimalistischer Weise zu einem vom Alltag abgehobenen Singsang aneinander. Manchmal tropfen die einzelnen Sequenzen wie Rosenkranz-Perlen durch die Finger.
Bestechend ist der Ton der Erzählung. Vom ersten Satz an ist klar, daß hier Dichtung gemacht wird, man hört die schweren Schnitzeisen zwischen den Dialogen arbeiten.
Die Sätze sind manchmal wie Untertitel zu einem Fotoroman ausgefallen, allerdings sind die Fotos dazu verloren gegangen. Und auch die vorhandenen Bilder sind oft nur mit gutem Willen zulässig, etwa wenn nur der „Herr“ weiß, wo der Kranich herkommt, während soeben die Bergbauern ihr inniges Verhältnis zur Natur kundgetan haben. Die weiße Maus, die immer wieder als Leitmotiv durch den Text huscht, wäre eine ideale Begleiterin zum PC, aber leider muß sie mit hohlem Kopf als echte Maus herumrennen. Es ist sicher schwer, mit dem Wissen der Gegenwart Vergangenes nachzuempfinden, so geht bei Perting der berühmte Fluch Ben Hurs um, der vergessen hat, die Armbanduhr abzulegen.
Mit dem Buch Der Kranich versucht der Provinz Verlag auf genossenschaftlicher Basis authentische Literatur in der Provinz zu vertreiben. Neuerscheinungen sollen folgen, sobald es sich finanziell ausgeht. Zwar ist eine Verwechslung mit der Bibliothek der Provinz in Weitra ziemlich auszuschließen, denn die Brixner Provinz trägt die italienische ISBN-Nummer 88 auf der Buch-Targa, aber ein intelligenterer Verlagsname hätte nicht geschadet.
Provinz, auch wenn es augenzwinkernd gemeint ist, ist ein gutes Programm. Es muß nicht immer alles nach Los Angeles rennen, um als Giga-Urbanität einen Sinn zu erfahren. Provinz ist ein gutes Programm für Leser, Schreibende und Kritiker. Mit dieser Präambel versehen ist Der Kranich eine sehr gelungene Erzählung geworden.