#Lyrik

Anarchie und Zärtlichkeit

G. M. Penn

// Rezension von Peter Stuiber

Zunächst einmal muss man dem Verlag zu seinem Mut gratulieren. Denn der gehört dazu, am Ende des Jahrhundert einen Gedichtband als „Punk-Poesie“ anzukündigen. Schließlich ist das so, als würde ein Innenstadtlokal damit werben, in Zukunft statt „Kruder & Dorfmeister“ doch wieder die „Sex Pistols“ oder die „Dead Kennedys“ zu spielen. Doch über Geschmack lässt sich ja bekanntlich streiten (und über Kategorisierungen ohnehin), sodass man dieses Buch ohne Vorurteile in die Hand nehmen sollte (wenn es auch zugegebenermaßen schwer ist, bleiben doch die Bilder dieser aus heutiger Perspektive doch völlig uncoolen Punks immer im Bewusstsein des Lesers).

Der Autor G. M. Penn, Salzburger des Jahrganges 1971 (drei Jahre zuvor erschien übrigens der erste Punk-Song der Rock-Geschichte, „I wanna be your dog“ von den Stooges, dies noch als letzter Kommentar zu den Punks), hatte ein Initiationserlebnis, was Literatur betrifft. Er las während einer Zugfahrt ein Buch von Charles Bukowski. Das haben wahrscheinlich viele zornige junge Männer zwischen fünfzehn und dreißig gemacht (inklusive dem Verfasser dieser Zeilen), mancher von ihnen wird Bukowski nachgeeifert haben, predigte dieser doch bekanntlich die Glückseligkeit in Form von Sex, Drugs & Alkohol. Penn begann also ebenfalls, Gedichte zu schreiben; mittlerweile lebt der Österreicher in London (hoffentlich nicht in der Carnaby-Street, denn dort gibt es heute statt Punks nur noch Touristenläden, in denen man Punk-Mitbringsel kaufen kann).

Wer an der deutschen Lyrik deren Blutarmut kritisiert, wird bei Anarchie und Zärtlichkeit auf seine Kosten kommen. Denn Körpersäfte fließen allemal, sei es nun Blut oder Kotze. Meistens fühlt sich derjenige, der in diesen Gedichten spricht, nicht besonders gut. Zuviel Alkohol, meist in Kombination mit irgendeinem Zeug wie Valeron-N, Echnatol oder Paspertin: „Die Drogen verlieren / ihre Wirkung / wenn ich sie nicht / von Zeit zu Zeit / wechsle“ (S. 27) Die Welt also aus der Sicht des ausgekotzten Magens eines Outlaws. Es spricht ein Verlierer im wahrsten Sinn des Wortes: jemand, der etwas verloren hat, seien es nun seine Träume („Wenn du am Abend / mit dem Kühlschrank / im Nacken / auf die Suche nach / deinen verlorenen / Träumen gehst“, S. 30) oder Gedanken („Letzte Nacht sah ich dich vor mir sterben / […] / einsam und kalt / wie ein verlorener Gedanke“, S. 5). Die Drogen ziehen einen Schleier zwischen Mensch und Umwelt. Beziehungen sind von Misstrauen und Unverständnis geprägt, Sex macht auch keinen Spass mehr („Ihre Zunge / schmeckt nach Mayonnaise / und wir reden / über den Dreck / unter unseren / Fingernägeln“, S. 29) und von Zukunft kann keine Rede sein. Nur von der Hoffnung, zumindest kurz ausbrechen zu können („laß mich eine / kühle Höhle finden / laß mir nur noch ein / wenig Zeit / um mein Ich zu befreien“, S. 45). Und immer wieder die Einwirkungen der Stadt, dem Moloch der Moderne: „schon länger süchtig / als clean / traurige Bilanz / […] / und der Tod / ist eine völlig / unspektakuläre Sache“ (In The City, S. 73).

Niemand wird bestreiten, dass Gossenpoesie – von Villon bis Bukowski – höchste literarische Qualität haben kann. Es besteht jedoch stets die Gefahr, sich im Nachahmen des schnoddrigen Tons zu erschöpfen, der für sich allein genommen wenig zählt. Natürlich sieht Penn sich in der Tradition dieser literarischen Outcasts. Villon erweist er ebenso seine Referenz wie Boris Vian, am meisten natürlich Bukowski selbst. Während sich dieser in seinen Gedichten auf Chopin und Dostojewskij als große Außenseiter beruft, werden bei Penn die Herren Satie und Trakl bemüht. Das letzte Gedicht dieses Lyrikbandes bezieht sich sogar direkt auf Bukowskis „Gedichte die einer schrieb bevor er im 8. Stockwerk aus dem Fenster sprang“: „Acht Stockwerke / mit dem Fahrstuhl / […] / sie denkt: / ich fürchte keiner traut sich“ (S. 75) Doch Bukowskis Lyrik wie Prosa gewinnt dort, wo der Autor die genaueste Umwelt- und Selbstbeobachtung ironisch reflektiert, wo „das Leben“ oder die Träume davon literarisch verwandelt werden. Bei Penn finden sich zwar manche reizvolle Formulierungen (ein Gedicht mit dem Titel „Wien“ beginnt z. B. mit der Zeile: „und es regnet als wir aus dem Zug steigen“, S. 8), dann aber wiederum plumpe moralische Warnungen an den Leser: „Wer unter euch / ohne Sünde ist / der werfe den / ersten Stein“ (S. 29). Dort, wo Ironie, Distanz, Perspektivenwechsel, Spielfreudigkeit auftauchen, wird es erst richtig interessant für den Leser. Dass Penn dazu fähig ist, beweist er leider nur selten. Zum Schluss ein solches kleines Beispiel (Titel: „Blaue Flecken“, S. 14f.): „O.k. / dein Zahnarzt hat dir / ein paar neue Plomben verpaßt / und deine Frau hat dich / wieder mal beschissen / und den Führerschein / hast du noch immer nicht / zuviel Thc in der Pisse / kennst du das Gefühl / Ja? / Dann schreib Gedichte“.

G. M. Penn Anarchie und Zärtlichkeit
Gedichte.
Wien, München: Deuticke, 1998.
75 S.; geb.
ISBN 3-216-30370-5.

Rezension vom 05.10.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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