#Roman

Bis dass der Tod uns meidet

Alexander Peer

// Rezension von Marcus Neuert

Der aus Salzburg stammende und in Wien lebende Autor Alexander Peer, der bereits 2011 im Limbus-Verlag seine Novelle Land unter ihnen mit historischem Bezug zur blutigen Unterwerfung des Aztekenreiches durch die Spanier vorgelegt hat, beschäftigt sich in seinem ebenfalls bei Limbus erschienenen Romandebüt mit einem gänzlich anderen Thema: Liebe und Philosophie.

Franz Müller, Lehrer und Literat, Werbetexter, passionierter Nachdenker über Nietzsche, Bier- und Frauenfreund mit Symptomen beginnender Midlife Crisis verliebt sich in Rebecca, eine attraktive und von extremen Stimmungen hin und her geworfene Amerikanerin um die Vierzig, die bei Franz einen Schreibworkshop besucht. In den folgenden Monaten versuchen sie eine Beziehung, die jedoch nicht zuletzt daran scheitert, dass beide zu sehr in ihre unverarbeiteten Erinnerungen an frühere Liebesbeziehungen und prägende Lebensumstände verstrickt sind. Das ist auch schon im Wesentlichen der gesamte Rahmen der Handlung, die sich subjektiv empfunden an nur drei immer wiederkehrenden Schauplätzen abzuspielen scheint: im Park, im Pub und im Bett. Was zunächst wenig originell klingt, entbehrt jedoch im Laufe der Lektüre nicht eines gewissen sekundären Vergnügens an der Art und Weise, mit welcher der Autor sich seinem vordergründig abgegriffenen Sujet zu nähern versteht.

Wichtiger als der Plot selbst scheint Alexander Peer jedenfalls etwas ganz anderes zu sein: vor der Matrize der Liebesgeschichte schreibt er seinem Protagonisten Franz Monologe über das Leben im Allgemeinen und das Beziehungsdilemma zu Rebecca im Besonderen auf den, oder besser gesagt: aus dem Leib, die zu einem großen Teil an seinen geistigen Übervater Friedrich Nietzsche gerichtet sind.
Nietzsche, großartiger Aphoristiker, spornt Franz geradezu dazu an, sich in ebendieser Disziplin zu üben, und die Elaborate seiner zahlreichen Theken- und Schlafzimmer-Räsonnements lösen beim Lesen abwechselnd Belustigung, Nachdenklichkeit oder Bestürzung aus. So luziden Sentenzen wie „vielleicht ist gerade das unentwegt Maßlose die Mittelmäßigkeit unserer Zeit?“ (S. 37) stehen immer wieder auch erheiternd-ironische Erkenntnisse gegenüber, wenn es etwa über die „gesunde Haltung“ zur Philosophie heißt: „Bravsein ist ein Todesurteil im Krieg des Denkens“ (S. 152).
Freilich entgleiten dem Autor auch mitunter die Stilmittel des literarisch Angemessenen, etwa wenn ein Besuch im Swingerclub in der Frage gipfeln muss: „Ist das die Lösung: Bumsen statt beten? Ach, immer diese apodiktischen, etwas ausschließenden Positionen. […] Was wollte ich hier? Schließlich hatte ich gar kein Interesse an promiskuitiver Ornithologie!“ (S. 71)

Franz, der Vögelkundler, der libertäre Freigeist, der rastlos sich Suchende, muss im Verlauf seiner Beziehung zu der depressiven Rebecca, die ihre ungelösten Vater- und Partnerkonflikte und ihre Schuldgefühle wegen einer Abtreibung mit sich herumschleppt erkennen, dass sein zentrales Problem in der Verweigerung von Verantwortung besteht. Nach dem Ende der Liebschaft verfällt er mehr und mehr dem Alkohol, die Schule beurlaubt ihn, und erst in den allerletzten Szenen des Buches, als Franz unvorbereitet in die Situation kommt, eine Nacht lang auf die kleine Tochter eines Freundes aufpassen zu müssen, scheint so etwas wie Hoffnung, ja gar die Möglichkeit einer Katharsis auf, zeigt sich, dass Franz durchaus in der Lage sein könnte, über den eigenen Tellerrand der körperlichen Genusssucht, der Larmoyanz und der Geistreicheleien hinauszublicken.
In der letzten Auseinandersetzung wirft ihm Rebecca bezeichnenderweise vor: „That’s you! You’re always trying to put things into an absurd context just to prevent yourself from a clear and honest encounter.“ (S. 256)

Auffallendes Stilmittel von Alexander Peer ist, dass er die beiden Hauptfiguren in einem mitunter nur schwer zu ertragenden Kauderwelsch aus Deutsch und Amerikanisch miteinander kommunizieren lässt. Die Leichtigkeit und Authentizität der Sprache, die hierbei intendiert gewesen sein mag, stellt sich beim Lesen nicht ein – den Dialogen geht so eher eine notwendige Tiefenschärfe verloren. Sie illustrieren immerhin allerdings die Zerrissenheit, in der sich Rebecca und Franz befinden, auch in ihrer Beziehung zueinander, die über mehr oder weniger regelmäßigen Geschlechtsverkehr und das wortreiche und doch spracharme Rühren in Kaffeehaustassen kaum hinauskommt. Da, wo der Dialog ansatzweise ehrlich zu werden verspricht, gerät er auch gleich gefährlich nahe an die Abgründe des Kitschigen: „[…] aber dann verließ ich die englische Sprache, weil ich fühlte, sie war eine Art Tarnung für das, was ich sagen wollte, und gerade das sollte es nicht sein. „Du berührst mich, Rebecca? du berührst mich jenseits des Berührens.“ Rebeccas Augen schienen zu glänzen.“ (S. 89)

Seine wahren Qualitäten entwickelt das Buch dagegen in den breit angelegten und im inneren Dialog mit Nietzsche stehenden Selbstanalysen des Franz Müller. Hat man anfänglich noch ein wenig das Gefühl, gedanklich herumgeschubst zu werden, so gewinnt die Figur des Franz trotz ihrer zahlreichen allzu menschlichen Defizite die Sympathien gerade durch sein ständiges Abtauchen vom Hundertsten ins Tausendste und seiner Fähigkeit, aus den zahllosen Gedankensträngen auch wieder hinauszufinden und den Leser dabei mitzunehmen. Peer gelingt hier zuweilen ein wahres Feuerwerk an erinnerungswürdigen Bonmots.
Zugegeben, man erfährt nicht wirklich grundlegend Neues, weder über die Liebe noch über die Philosophie. Aber die ständige Gegenüberstellung von Existenzproblemen der männlichen Lebensmitte und Zitaten aus dem Reich der Philosophie nebst den entsprechenden gedanklichen Fortschreibungen des Autors gerät diesem doch abwechslungsweise amüsant und tiefsinnig. Rebecca, die Antagonistin, die doch eigentlich Bewegung in die Handlung bringen könnte, bleibt in dieser Konstellation vergleichsweise blass, die Auftritte anderer Personen geraten zu kurz, um wirkliche Impulse für den Fortgang der Geschichte geben zu können (wie z. B. der des eifersüchtigen Noch-Ehemanns von Rebecca, dem sich unser Held dann eben doch nicht stellen muss).
Dabei wird mehr und mehr deutlich: die vordergründig wahrnehmbare erzählerische Inhaltsarmut des Romans ist vom Autor gewollt, jedenfalls schlüssig, unterstreicht sie doch auf ihre Weise die thematisierte Banalität immer wiederkehrender Lebens- und Liebes-Muster: „Ich saß im Pub. So viel war klar. Es reduzierte sich die Erfassung dessen, was ich meine Biografie nennen wollte, auf das Sitzen im Pub, dass ich im Prinzip nur noch im Pub saß. Mein Biograf könnte leichtes Geld machen, das Buch bestünde aus einem einzigen Satz.“ (S. 199)

Alexander Peer Bis dass der Tod uns meidet
Roman.
Innsbruck: Limbus, 2013.
304 S.; geb.
ISBN 978-3-902534-75-0.

Rezension vom 01.05.2013

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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