#Lyrik

Ortstiefen

Fritz Pechmann

// Rezension von Walter Wagner

Fritz Pechmann legt mit Ortstiefen einen Gedichtband von unaufdringlicher Präzision und heiterer Grundstimmung vor. Keine Schmerzenslyrik, keine tränensatten Abschiedsverse erwarten uns. Allenfalls ernste Anklänge, deren Misstöne bisweilen die Beschaulichkeit bedrohen. Ansonsten Klarheit am farbigen Horizont, aus dem unvermittelt das Du tritt, freundlich, dem lyrischen Ich die Hand reichend.

Ortstiefen zerfällt in drei Abschnitte, die „Unterwegs“, „Ankunft“ und „Wortsonate nach Tiroler Motiven“ überschrieben sind. Im ersten Teil nimmt uns Pechmann mit auf die Reise in Gemälde, Ansichtskarten und Miniaturen, abgegrenzte Räume, denen der Dichter seine Poetik einschreibt. Bald aber führt er die Leser aus der Außen- in die Innenwelt seines Ich bzw. seines Gegenübers. Beobachtungen verlieren sich in unbestimmten, kaum zugänglichen Gegenden des Bewusstseins, deren Bann Pechmann mit wenigen Worten bricht: „In meinem Körper / stecken noch / all die Scherben / der Volksschulzeit / und der Jahre davor. / Die gegeneinander / gedrückten Splitter / knirschen / unüberhörbar.“

Kindertage, Urgrund jeglicher Poesie, fungieren als Reservoir schwereloser Bilder, deren Anmut Scherben vergessen macht: „Am Himmel eine / Laufmasche vom / Flugzeug gezogen.“ Diese drei Verse – unnötig, das Gedicht zur Gänze zu zitieren – bergen die Kraft der Heilung in sich, die der Kindheit entspringt und die sich der Autor zunutze macht.

Über das „Bodenlose“, gegen dessen Sog sich das lyrische Ich zu stemmen hat und die „zerrissenen Feldern“ triumphiert existenzielle Geborgenheit: „Vor uns:“, schreibt er, „fremde / Blumen und die Zuversicht / unbekannte Landschaften zu / erreichen.“

Vor diesem Hintergrund ist der zweite Teil, „Ankunft“, zu lesen. Hier tritt ein reiselustiger Beobachter vor den Leser und benennt die Destinationen der Neugier und Unruhe. Von Athen bis Oslo, von Nazareth bis New York einschließlich Abstechern auf den südamerikanischen Kontinent erstreckt sich die Route. Alphabetisch geordnet tauchen die Namen vor uns auf. Der Blick durch das Objektiv, die Suche nach der richtigen Einstellung, die Abbildung im Hinterkopf. Nicht mehr. Sparsam fallen Pechmanns Kommentare aus, die Momentaufnahmen sprechen für sich. Mit Vorliebe hält sich der Betrachter in Städten auf, immer wieder verharrt er vor Klöstern und Kirchen, wobei Rekurse auf die bildende Kunst zur unvermeidlichen Ingredienz werden und diese Lyrik intermedial verstärken. Beuys, Christo, Kandinsky, Klee, Monet, Munch, um nur einige der Stichwortgeber anzuführen, bevölkern die zitatenreiche Wortlandschaft des Autors.

Menschenleere Landstriche hingegen, der unbewohnte Planet sind seine Sache nicht. So geraten wir nachgerade ins Staunen, wenn er am „Plöckensteiner See“ verweilt und vom Geiste Stifters beschirmt seine Eindrücke von diesem mystischen Platz wiedergibt, der den Kriegslärm des „Hochwaldes“, diesmal friedlich, nachhallen lässt. Daher heißt es: „[…] Zum militärischen/Sperrgebiet verwunschen/und nach dem Abbau/des grenzvertiefenden Stacheldrahts/von Wanderscharen aus/beiden Staaten belärmt.“

Aber kehren wir zurück zur urbanen Umgebung. Nehmen wir „Grado“, wo die Brandung die Alpen berührt, und wir begreifen, dass Böhmen am Meer liegen kann. Verblüffende Assoziationen oder kühne Metaphorik, Pechmann beherrscht sie beide, setzt sie gekonnt ein und öffnet uns dergestalt neue Innenräume der Sprache.

Auf zwei, drei Strophen beschränken sich diese hauptsächlich aus Substantiven und Adjektiven komponierten Gedichte, die dem erstarrten Partizip Perfekt oft den Vorzug gegenüber dem dynamischen Verb geben und den beschaulichen Gestus der Sprache unterstreichen.

Es braucht keinen Weltreisenden, um auf Pechmanns Spuren zu wandeln, Vertrautes ist ins Fremde eingestreut. Wien, Linz, Graz, Kremsmünster, Hall, Innsbruck. Selbstredend Salzburg. Barocker Zuckerguss auf Fassaden. Domstadt am Alpenrand. Aber wie Salzburg sagen? Etwas sagen, was nicht von Alexander von Humboldt und Trakl aus- bzw. über sie hinausgeht? Wer sich selbst zur schreibenden Zunft zählt, ist gespannt, was Pechmann wahrnimmt und wie er die Fährnisse von Klischees, will sagen epigonaler Kunst umgeht. Dazu ein Ausschnitt: „Haus des Eisenhändlers/Tobias Trakl dessen/Sohn dissonante/innere Akkorde zu/purpurnen Bildern verdichtete/Glosende Innenräume durch/Fenster sich/öffnend.“

Was der Dichter über so genannte Innenräume, mithin Orte der Herkunft, zu berichten weiß, heischt nicht nach Beruhigung, sondern kratzt am Nimbus des Idylls. Gleichviel ob er Tobias Trakl oder den beleibten Vater im stolzen Traunviertler Eigenheim meint. Nüchtern lautet das Resümee: „Tapeten die/enger werden.“ Desgleichen drüben im „Mostviertel“, wo „die Wände sich zu/bittersüßen Gittern/verwandeln/können.“

Nun begreifen wir, weshalb Pechmanns Städtealbum vorwiegend Außenansichten enthält. Denn wo daheim ist, werden Wunden geschlagen. Ortstiefen beobachtet diese aus sicherer Distanz. Es ist eine Lyrik, die dennoch an die glückliche Wendung der Dinge glaubt.

Fritz Pechmann Ortstiefen
Gedichte.
Wien: Edition Doppelpunkt, 2003.
104 S.; brosch.
ISBN 3-85273-143-7.

Rezension vom 18.02.2004

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.