#Prosa

Lina Loos

Adolf Opel (Hg.)

// Rezension von Julia Danielczyk

Seit einigen Jahren steht die Schauspielerin und Schriftstellerin Lina Loos (1882-1950) im Blickfeld des literatur- und theaterwissenschaftlichen Interesses – und nicht etwa als Weggefährtin des prominenten Architekten Adolf Loos, sondern als herausragende eigenständige Literatin und scharfsinnige Beobachterin des historisch bewegten Zeitraums der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Adolf Opel hat nun Lina Loos‘ Gesammelte Schriften bei der Edition Va Bene herausgegeben. Nach der Publikation von Loos‘ Lebensgeschichten „Wie man wird, was man ist“ (1994) und „Elsie Altmann-Loos, Lina Loos, Claire Loos: Adolf Loos – der Mensch“ (2002) widmet sich dieser dritte Band sowohl bekannten als auch unbekannten Texten. Der als „Dokumentation“ deklarierte Band vereint neben philosophischen Betrachtungen, szenischen Texten und Tagebuchaufzeichnungen ausgewählte Essays, Kurzgeschichten und Erzählungen aus bereits erschienenen Büchern sowie Materialien aus dem Nachlass. Es werden damit erstmals gesammelte Artikel der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, die Lina Loos über den Zeitraum von 1904 bis in die 1950er Jahre im Wiener Feuilleton, vor allem im Neuen Wiener Tagblatt, veröffentlicht hat und die die Fin-de-siècle-Gesellschaft der Salons und Literatencafés, das Ende der k.u.k. Monarchie, die Vertreibung von KünstlerInnen im Dritten Reich sowie die Kriegs- und Nachkriegszeit in Wien und Berlin dokumentieren.

Im Anhang weist Opel die Erstdrucke aus, doch Quellenangaben sind dürftig bis nicht vorhanden. Im Vorwort streift Opel chronologisch deren Werdegang, stellt biographische Zusammenhänge her und eröffnet den Blick auf genannte Personen und deren Beziehung zu Lina Loos. Bedauerlicherweise dominiert jedoch Opels Emphase. Distanzlos präsentiert er seine „Heldin“, bewertet ihre Freundschaften und stellt sie am Ende ganz unsachlich – wenn auch aus dem Blick ihrer langjährigen Wegbegleiterin Leopoldine Rüther – als „Märtyrerin“ dar (S. 30). Ebenso persönlich gefärbt beginnt das Buch mit einer Widmung an die Wiener Schauspielerin Chris Pichler, „die Lina Loos ihre Stimme und ihre bezaubernde Erscheinung geliehen hat“ und auf Seite 99 findet sich eine Werbeeinschaltung für die ebenfalls von Chris Pichler besprochene CD, die „Das Buch ohne Titel“ von Lina Loos zum Inhalt hat. Die ausgewählten Schriften arrangiert der Herausgeber in chronologischer Folge, wobei die (von Opel verliehenen?) Überschriften thematischen Schwerpunkten zugeordnet sind: Familiengeschichten, Freunde, Männer-, Frauen- und Theatergeschichten, Eine Frau, die schreibt, was sie will u.a.

Die kurzen Texte, die selten mehr als fünf Seiten fassen, sind vor allem als kulturhistorisch aussagekräftige Erinnerungen interessant: Beispielsweise wenn Lina Loos ihre Freundschaft zu Peter Altenberg oder Egon Friedell an außergewöhnlichen Situationen erprobt und neue Perspektiven auf diesen Kreis eröffnet: „Eines möchte ich richtigstellen. Peter Altenberg gilt als Frauenverehrer. Er war es nicht! Er hat uns gehaßt. Er hat uns Frauen gehaßt, wie er reiche Frauen haßte, die ihren Reichtum nicht verwenden wußten. Er, der soviel Schönheit erkannte, verzweifelte an den Frauen, wenn er sie Wertvollstes an die untauglichsten Objekte vergeuden sah. An ihm, dem Ewig-Bereiten, sind die Frauen vorübergegangen, so wurde er gezwungen in Buchstaben zu gestalten, was Unerlebtes überblieb. Er saß nicht an seinem Schreibtisch und dichtete, er lebte, und manchesmal schrieb er auf kleine Zettel wichtige Dinge an Menschen, die gerade nicht zugegen waren.“ (S. 102)

Neben Persönlichkeitsstudien über Egon Friedell als Dichter, Schauspieler und Freund, über ihre kurze und spektakuläre Ehe mit Adolf Loos, Erinnerungen an Viktor Adler, Rudolf Beer, Max Pallenberg, Gisela Werbezirk und ihren Bruder, den Schauspieler Karl Forest, die Loos in Theateranekdoten bettet, versammelt der Band vor allem satirische Texte über Gesellschaft, Religion und Politik. Selbstironisch reflektiert Loos ihr eigenes literarisches Schaffen, in „Ich schreibe, was ich will“ heißt es: „Ich habe eine berühmte Namensvetterin – Anita Loos -, die ein Buch geschrieben hat, ‚Blondinen bevorzugt‘, das ich nicht kenne. Es scheint aber ausgezeichnet zu sein, da niemand auch nur im Traum eingefallen ist, mich für die Autorin zu halten.“ (S. 164)

Das letzte Drittel des Bandes vereint unter anderem politische Essays unter dem Motto „Wenn ich was zu reden hätte“. Differenziert fordert sie in dem Artikel „Wir Frauen“ (verfasst für den Bund demokratischer Frauen Österreichs) fern jeglicher parteipolitischer Propaganda zu politischem Engagement auf: „Es ist Aufgabe jeder Frau, sich zu kümmern um das, das was vorgeht, vor allem, was mit ihr geschieht. Oder hat der Frau die Stellung, die ihr der verflossene Herrenmenschenstaat zugewiesen hat, gefallen? Da stand in der Zeitung: ‚Männer dürfen nicht mehr in Bedürfnisanstalten beschäftigt werde – der Abortpinsel gehört in die Hand der Frau!‘ Ja, so weit kann es kommen, wenn Frauen sich nicht dafür interessieren, was mit ihnen geschieht!“ (S. 242)

Lina Loos‘ Gesammelte Schriften sind bedeutende Zeitdokumente, die den Bogen der facettenreichen Beiträge unter ihren kompromisslosen Anspruch an Leben und Werk stellen: „[…] nur sei wahrhaftig der, der du bist, dann bist du alles, was ich suche […]“ (S. 246) Mit dem Wunsch, für eine große Idee zu leben und zu sterben, beginnt dieses geistreiche Buch und endet mit Loos‘ Erkenntnis und Testament: „Ich bin mir nicht einmal immer klar darüber geworden, was eine große Idee ist. Heute weiß ich es: Sich einsetzen, zu kämpfen, wenn nötig zu sterben für das Wohl aller Menschen.“ (S. 257)

Adolf Opel (Hg.) Lina Loos
Gesammelte Schriften.
Wien, Klosterneuburg: Edition Va Bene, 2003.
261 S.; geb.; m. Abb.
ISBN 3-85167-149-X.

Rezension vom 24.01.2004

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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