#Prosa

Was auf der erd da ist

Josef Oberhollenzer

// Rezension von Helmuth Schönauer

Vom scheitern & gelingen, vom vergessen & erinnern.

In alten Lesebüchern wurden die Geschichten immer so angeordnet, daß dabei eine sehr positive Botschaft auf die Schüler einwirken konnte. Das Leben sei ein Kreislauf und der Jahreskreis seine Bühne.
Josef Oberhollenzer greift in seiner Geschichtensammlung die Idee vom höheren Sinn auf, bei ihm allerdings heißen die geistigen Jahreszeiten Scheitern, Gelingen, Vergessen und Erinnern.

Tatsächlich gibt es keine Geschichte der Welt, die nicht in einer dieser Kategorien Platz hätte. Aber die Wirkung der Geschichten wird dadurch verstärkt, daß sie Oberhollenzer scheinbar falsch zuordnet. Was man vergessen soll, ist eigentlich das Kostbare, was gelingt, hätte besser nicht gelingen sollen, und das Scheitern besteht meist darin, daß der Freitod ums Verrecken nicht gelingen will.
Die Geschichten erhalten jeweils einen ungewöhnlichen Drall, weil sie in einem scheinbar falschen Umfeld werden. Der Leser darf sich also auf keine gängigen Muster verlassen, Josef Oberhollenzer führt ihn mit Begeisterung in die Irre und dann erst zur Erkenntnis.

Wie schon der „Universal“-Titel der Sammlung ankündigt, handeln die Geschichten von allem, was auf der Erde los ist. Damit wird suggeriert, daß es kein Entrinnen gibt. Wohin auch immer der Leser blicken mag, immer ist schon eine Oberhollenzersche Geschichte da.
So ist es kein Wunder, daß der Minikosmos eines mißlungenen Aufknüpfversuches in der Scheune, eines Babymordes im Gitterbett oder eines Unfalles bei der Selbstbefriedigung im Stall gleichwertig neben dem Makrokosmos der griechischen Götter steht. Das Schicksal eines Kabriofahrers, der einen Fußgänger mit der Windschutzscheibe köpft, steht gleichrangig neben einem Arrangement zu Büchner, der seinen Lenz gerade „von Rossen in den Wahnsinn“ treiben läßt.

Der Schrecken ist gewaltig, der Wahnsinn präsent, ein Entrinnen unmöglich. Wörtlich geht es bei den Geschichten um Leben und Tod. Neben dem sogenannten Unterhaltungseffekt, den sie natürlich auch liefern, sind es vor allem kompositorische Genauigkeit und Geduld, die sich als gute Eltern der Geschichten erweisen. Den Texten ist immer ein genaues Datum zugewiesen. Seit Gerald Bisinger wissen wir, daß die Botschaft des Textes immer von genauen Orts- und Zeitangaben abhängt. Die Texte sind nicht chronologisch angeordnet, sondern wurden später den „Erkenntniskreisen“ zugeordnet.

Als Bewohner der „Norbert-C.-Kaser“-Stadt Bruneck erweist Josef Oberhollenzer seinem Vorfahren bei jeder Ligatur eine kleine Referenz. Das &-Zeichen wird jedoch nur an jenen Stellen eingesetzt, wo man sich als Ersatz eine „Firma“ denken könnte.
Alle Texte der Abteilung „Gelingen“ beginnen mit einem beinahe schon allemannischen „Oder“, das darauf hindeuten soll, daß ein gegenteiliger Sachverhalt bereits vor dem Einsetzen der Geschichte gegeben ist.
In der Abteilung „Vergessen“ starten die Texte immer mit einem „Und“, zum Erzählten soll offensichtlich im voraus immer etwas „mitvergessen“ werden.

Jeweils eine „Erinnerung“ ist Anita Pichler und Alexander Langer gewidmet. An dieser Stelle wird schlagartig klar, daß das angeblich so erfolgreiche Land Südtirol beinahe niemanden hat, an den sich eine Erinnerung lohnte. Josef Oberhollenzer hat mit diesem relativ dünnen Buch eine große Gedankenlawine losgetreten.

Josef Oberhollenzer Was auf der erd da ist
Geschichten.
Wien, Bozen: Folio, 1999.
84 S.; geb.
ISBN 3-85256-118-3.

Rezension vom 02.09.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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