#Theater

Tödliche Sünden

Felix Mitterer

// Rezension von Helmuth Schönauer

Die sogenannten Todsünden sind aus dem Leben der Menschen nicht wegzudenken, sie begleiten selbst die digitalisierte Gesellschaft auf Schritt und Tritt. Und es gibt wahrscheinlich keine Tätigkeit oder Unterlassung, bei der nicht eine dieser Todsünden (Hochmut, Trägheit, Unzucht, Zorn, Geiz, Neid und Unmäßigkeit) kurz beim Fenster hereinschaute.
Felix Mitterer verdichtet in seinem Zyklus die einzelnen Sünden zu Fehlhaltungen unserer Gesellschaft, und als theatralisches Mittel setzt er das „Kommunikations-Theater der Gegenwart“ ein.

So werden Auswüchse, die nicht einmal mehr gerichtlich abgehandelt werden, zu realen Bedrohungen, die früher oder später jedes Individuum vernichten können. Entsolidarisierung, Ausländerhaß, Pornographie, Bulimie, Viagra und künstliche Befruchtung, Peep- und Talk-Show, Hundefutter für die Dritte Welt, um nur ein paar Schlagworte zu nennen, finden abseits der gängigen Rechtssprechung täglich Anwendung und Anwender. Der moralische Zeigefinger ist bei diesen schicken Sünden nicht mehr vonnöten, es braucht auch keine Religion und schon gar keine Drohung aus dem Jenseits, um dennoch umbarmherzig auf den Endpunkt dieser Verhaltensweisen hinzuzielen: Der Mensch macht sich spielend selber fertig, er braucht dazu nichts außer sich selbst!

Wie in der Konsumgesellschaft üblich, kann man die Sünden einzeln oder im Doppelpack, in der Haushaltspackung oder Ausgabe für Singles, als Tab oder Konzentrat erstehen. Rabatte und Daueraufträge sind möglich. Mit den Sünden wird wie an der Börse gehandelt: wer viel hat, dem fallen – wie bei den Aktien – meist viele Dividenden zu.

Felix Mitterer, pragmatischer Theatermann, kommt mit ganz wenig Personal aus. Mann, Frau 1, Frau 2 und Kind spielen in allen Lebenslagen, denn für eine gelungene Sünde braucht man letztlich nichts außer sich selbst. Daher ist der Monolog in der Trägheit, wo der Mann wohl eine gute Dreiviertelstunde lang vom zähen Verlauf der Welt berichtet (S. 19-30), beinahe schon als Hamlet-Monolog der besonderen Art zu verstehen. Oberflächlich, schnoddrig und salopp gibt er den Sinn des Lebens zu Besten, nachdem er seine Satellitenschüssel zerstört, seine Frau aus dem Haus getrieben und die Hobbies wie die Hoffnungen in seiner trägen Zukunftsplanung abmontiert hat. „Ist doch scheißegal, ob man etwas gut macht oder nicht. Was ist gut?“ (S. 24)

Während sich die Figuren selbst fertigmachen, steht ihnen jede Möglichkeit der technischen Non-Kommunikation zur Verfügung. Da werden Satellitenschüsseln zertrümmert, Handys gehen den Bach hinunter und der gute PC stürzt ab wie ehedem.

Wenn so mancher Kritiker der Aufführung auf die große Oberflächlichkeit des Stückes hinweist, so ist das durchaus als Lob zu verstehen. Denn die Kommunikations-Formen der „Todsünder“ sind nun einmal oberflächlich, beziehungsneutral und Webside-kompatibel. Das Stück ist eigentlich so intim schaurig ausgefallen, daß man es stellenweise gar nicht für eine Bühne inszenieren möchte, sondern einzig und allein für seinen eigenen Seelenhaushalt. So sind die Tödlichen Sünden quasi ein Leitfaden durch die Wirrnisse der Welt in sieben Stationen.

Eine Nachbemerkung des Verfassers

Felix Mitterers Einakter-Zyklus „Tödliche Sünden“ wurde am 25. Februar 1999 in den Kammerspielen des Tiroler Landestheaters in Innsbruck uraufgeführt. Die Premiere wurde vom Publikum als nicht aufregend bis mäßig oberflächlich aufgenommen. Allerdings stand das gesamte Land unter einem kollektiven Schock, denn zwei Tage zuvor hatte eine Jahrhundertlawine mitten im Tourismus-Trubel den Tiroler Ort Galtür teilweise vernichtet. Gegen die Dramaturgie der Realität fällt die Dramaturgie des Theaters bescheiden aus.
Die Vorbereitung des Stückes wurde durch eine schwere Erkrankung des Regisseurs behindert, sodaß Zyniker anläßlich der Uraufführung meinten, das Aufregendste sei der Schlaganfall des Regisseurs gewesen.

Felix Mitterer Tödliche Sünden
Sieben Einakter.
Innsbruck: Haymon, 1999.
95 S.; geb.
ISBN 3-85218-291-3.

Rezension vom 01.03.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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